Es wird Dich rufen (German Edition)
Feline zu, die weinend in sich zusammengesackt war. Er versuchte, sie sacht von ihrem Vater wegzuziehen.
»Kommen Sie, mein Kind. Wir müssen gehen.«
»Was wird aus meinem Vater?«, schluchzte sie.
»Wir werden uns um ihn kümmern«, sagte der Großmeister. »Ich verspreche es.«
»Ich komme mit«, sagte Mike.
»Einen Moment, junger Freund«, hielt ihn Jean jedoch zurück. »Ich brauche Sie hier noch.«
Fragend schaute Mike den Großmeister an, der ihm mit einem wissenden Gesichtsausdruck zulächelte, als wolle er ihm sagen, dass alles seine beste Ordnung hatte. Dann nahm er Feline an die Hand und brachte sie nach draußen.
Mike blieb mit dem alten Mann alleine zurück.
»Ich bin froh, dass Ihnen nichts passiert ist, Jean.«
»Es konnte mir nichts passieren«, sagte der alte Mann. »Meine Zeit war noch nicht abgelaufen. So, wie auch Ihre nicht.«
»Ich sah mich schon an die Pforte des Himmels klopfen.«
»Das mussten Sie durchmachen. Ich konnte es Ihnen leider nicht ersparen. Nur wer dem Tod gegenübergestanden hat, kann den Sinn des Lebens wirklich begreifen.«
»Sie wussten, dass er mich erschießen wollte?«
»Genauso wie ich wusste, wofür das Amulett gut war, das Ihnen mein alter Freund Pellier gegeben hat.«
Jean nahm den Kelch in die Hand und sah ihn wehmütig an.
»Darf ich eine Frage stellen?«, wollte Mike wissen.
»Fragen Sie, junger Freund.«
»Haben Sie so etwas auch erlebt?«
»Sie meinen, ob ich dem Tod ins Angesicht geblickt habe?«
Jean erinnerte sich zurück an jene kalten Wintertage in den Bergen Tirols, als er fast erfroren war.
»Ja, das habe ich. Ich wollte meinem Leben damals ein Ende setzen, weil ich alles falsch gemacht hatte, was man nur falsch machen kann. Marie Dénarnaud weihte mich in ein wunderbares Geheimnis ein und ich habe es an die Nazis verkauft. Nicht, weil sie mir viel Geld dafür geboten hatten, sondern weil ich davon überzeugt war, dass sie das Richtige tun. Dass sie den Weg für ein neues Reich des Glücks, des Friedens und des Wohlstands ebnen würden. Was war ich für ein Narr! Als ich es gemerkt hatte, war es zu spät. Mir blieb kein anderer Ausweg, nachdem ich alle meine Freunde verraten hatte.«
»Sie sind Otto Rahn?«
Mikes Augen öffneten sich weit, damit hatte er nicht gerechnet. »Aber warum haben Sie mir nichts gesagt? Ich habe Sie doch nach Rahn gefragt. Da taten Sie so, als redeten Sie über einen Dritten!«
»Trotzdem habe ich in meinen Aussagen nicht gelogen. Ich habe nur, sagen wir … ein paar Dinge weggelassen. Niemand kannte bis heute meine wahre Identität. Nur der Großmeister war eingeweiht.«
»Aber ist Rahn, also … sind Sie nicht gestorben? Es wurde doch eine Leiche gefunden?«
»Es war nicht meine«, erzählte der alte Mann. »Bevor ich starb, fand mich eine Abordnung der ›Bewahrer des Lichts‹. Sie haben mich gerettet, nur durfte niemand wissen, dass ich überlebt hatte. Deshalb wurde eine andere Leiche hinterlassen. Alle weiteren Spuren wurden verwischt. Ich bekam eine Chance, meinen Fehler wiedergutzumachen.« Mit einem tiefen Seufzer fügte Jean hinzu: »Und ich hoffe, ich bin ihr gerecht geworden.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Mike und zeigte nachdenklich auf den Kelch. »Mir war nicht klar, dass es einer so grausamen Zeremonie bedarf, um den Gral zu schauen. Ein Menschenopfer geht fast ein wenig zu weit.«
»Das ist auch nicht nötig«, beruhigte ihn Jean. »Die ›Söhne Luzifers‹ wissen es nur nicht besser. Ebenso wenig die, die mit ihnen zusammenarbeiten. Sie können es nicht wissen, weil sie die Liebe aus ihrem Leben verbannt haben. Weil ihnen die Macht mehr bedeutet als die Gemeinschaft der Menschen, haben sie vergessen, dass nur die Liebe über den Hass siegen kann.«
Mike erinnerte sich an den verzweifelten Ausdruck im Gesicht von Felines Vater, als Boone auf sie schoss.
»Sie meinen: Das ist der Grund, weshalb der General es nicht geschafft hat? Weil die Liebe zu seiner Tochter stärker war?«
»Es mag ein Grund sein, dass ihm dieser Weg letztlich verwehrt blieb«, sagte Jean. »Ich habe vermutet, dass die Sorge um seine Tochter stärker sein würde als sein Hass auf die Gesellschaft, den die ›Söhne Luzifers‹ bedient haben.«
»Was wäre passiert«, hakte Mike neugierig nach, »wenn der General tatsächlich Ihr Blut getrunken hätte«?
»Die Zukunft wäre ihm offengestanden.«
»Aber wie?«, fragte Mike.
»Ich werde es Ihnen zeigen«, sagte Jean, nahm den Gral an sich und lud Mike
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