ESCORTER (German Edition)
fragte. »Ich kenne deine Mutter.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Wir sind …«, sie zögerte kurz. »Wir sind alte Freundinnen.« Sie sagte das so, als wären sie alles andere als das.
»Aha«, mehr fiel Doreé nicht dazu ein und mehr wollte sie auch gar nicht wissen. Die Frau war unheimlich. Ihre unangemessene Vertraulichkeit, ihr seltsames Lächeln, nicht unfreundlich, aber irgendwie tückisch. Sie hatte das Gefühl, dass die Frau nicht zufällig hier war, sondern als hätte sie auf Doreé gewartet. Aber das konnte nicht sein. Niemand wusste von ihrer Verabredung, nicht einmal Ophelia.
»Du ähnelst ihr«, fuhr die Frau unbeeindruckt fort.
Oh bitte nicht auch noch diese alte Leier. »Tatsächlich? Eigentlich behauptet meine Mutter immer, dass ich meinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten bin.«
Natürlich tat sie das, hatte sie doch ein perfekt modelliertes Gesicht, wie eine griechische Statue. Ganz im Gegensatz zu ihrer Tochter mit ihrer spitzen Nase und einem Unterkiefer wie ein Nussknacker.
Wieder rückte die Frau näher und Doreé musste den Drang unterdrücken, zurückzuweichen. Ihre Hände krampften sich um das Geländer, als wäre es ein Knüppel, mit dem sie sich notfalls verteidigen konnte.
»Du bist eine Mischung aus beiden«, sagte die Frau, »den Körper deiner Mutter und das Gesicht deines Vaters. Doch tief in dir drin«, sie deutete auf Doreés Brust, »bist du wie sie.«
»Sie irren sich«, stieß Doreé unnötig heftig hervor. Plötzlich war sie wütend auf diese Fremde, die es wagte, sie mit ihrer Mutter zu vergleichen, sie gar mit ihr gleichzusetzen. »Ich bin ganz und gar nicht wie meine Mutter.«
Die Frau lachte, es klang freudlos. »Ach nein?«
»Nein!«, beharrte Doreé. Niemals will ich sein wie diese Frau, so perfekt, so kalt, so … unheimlich. Ja, ihre Mutter war ihr unheimlich. Es bedurfte der Begegnung mit dieser seltsamen Frau, um es sich endlich einzugestehen. Die Frau winkte ab. »Du wirst schon noch …«, sie brach ab und hob den Kopf. Ihre Nasenflügel blähten sich. Sie sog die Luft ein, schnupperte wie ein Tier. Automatisch roch Doreé ebenfalls. Feuchte Erde, Gras, warmes Holz. Der Geruch nach Sommer.
Dann hörte sie die Schritte. Jemand betrat die Aussichtsplattform. Doreé atmete erleichtert auf. »David.«
»Hi«, sagte er. »Tut mir leid wegen der Verspätung. Ich habe über eine halbe Stunde gebraucht, um hierher zu finden.«
Doreé zuckte mit den Schultern. »Ich nahm an, du würdest dich hier auskennen.«
»Offensichtlich nicht so gut wie du«, erwiderte er.
Die weißhaarige Frau runzelte missbilligend die Stirn, stieß zischend die Luft zwischen ihren Zähnen hervor. David bedachte sie mit einem kühlen Blick und stellte sich dann neben Doreé an das Geländer. »Lass uns lieber woanders hingehen«, flüsterte Doreé und nickte unauffällig in Richtung der Frau.
Glücklicherweise verstand David sofort. Sie verließen die Plattform und schlenderten querfeldein über die Wiese. An vielen Stellen schaffte es das Sonnenlicht nicht mehr über die Bäume, sodass sich Schattenwege auf dem Gras bildeten, die das rot-goldene Abendlicht zerteilten. Die Nacht eroberte ihr Territorium.
David deutete auf ihren Fuß. »Ich habe erwartet, dich mit einem Gipsfuß vorzufinden.«
Doreé winkte ab. »Unsere Haushälterin hielt ein wahres Wundermittel parat. Schon wenige Stunden nach der ersten Behandlung konnte ich wieder auftreten.«
David nickte anerkennend. »Alle Achtung. Was ist das für ein Zeug?«
»Keine Ahnung. Es roch wie eine Mischung aus Seifenlauge und alten Socken.«
Er verzog das Gesicht. »Du scheinst ihr zu vertrauen, wenn du dir ein solches Zeug andrehen lässt, ohne zu wissen, was es ist.«
Ein Lächeln huschte über Doreés Gesicht. Er hatte ja keine Ahnung, dass Ophelia viel mehr für sie war als eine Haushälterin. »Sie ist ein Schatz. Ich würde ihr mein Leben anvertrauen.«
Hinter ihr erklang ein Schnauben. Erschrocken drehte Doreé sich um. Kaum zehn Schritte entfernt ging die weißhaarige Frau. »Da ist die Frau von der Plattform«, zischte sie David zu. »Glaubst du, sie folgt uns?«
Nun warf auch David einen Blick über die Schulter. »Ich weiß nicht. Kennst du sie?«
Doreé schüttelte den Kopf. Dass die Frau behauptete, ihre Mutter zu kennen, behielt sie lieber für sich. Zudem war das noch lange kein Grund, sie zu verfolgen.
»Vielleicht hat sie zufällig den gleichen Weg«, mutmaßte David nun.
Das klang logisch und doch war ihr
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