ESCORTER (German Edition)
Honigblond hatte es ihr Vater genannt. Kaum jemand trug die Haare noch hüftlang und auch sie tat es nur, weil sie von ihrem runden Gesicht, den verschiedenfarbigen Augen und der spitzen Nase ablenkten. Zudem passten sie ihrer Meinung nach zu ihrer Körpergröße – neben ihrem blonden Haar das einzige Erbe ihrer Mutter. Manche beneideten sie um ihre Größe, doch Doreé empfand sie eher als hinderlich. Nicht nur dass sich schwer ein Mann finden ließ, der sie überragte, auch fand sie keinen rechten Zugang zu ihrem Körper, kam sich oft ungelenk und schlaksig vor, wie eine dieser Gliederpuppen, die Künstler benutzten, um die Proportionen richtig darzustellen.
Die Afrikaner ließen sich nicht beirren, winkten sie lachend herbei und riefen Komplimente. Ihre Freundin Betty würde das Verhalten mit einem übertriebenen Schlenker ihrer runden Hüften quittieren, doch Doreé errötete nur und stakste mit großen Schritten davon. Wenig später erreichte sie die Aussichtsplattform. Zu früh, wie sie feststellen musste. David war noch nicht da. Eine weißhaarige Frau stand am Geländer, ihr Gesicht der Abendsonne entgegen gereckt, die Augen geschlossen. Doreé stellte sich neben sie und lehnte sich über die Holzstreben, bis ihre Haare fast den Boden berührten, und schaute auf den sumpfigen Grund. Das mit Schilf, Riedgras und Kalmuskraut bewachsene Ufer verwehrte den Blick auf die Gesamtheit des Sees, gab ihm eher den Anschein einer Ansammlung von kleinen Tümpeln. Die Sonne versank bereits hinter dem Horizont, erste Schatten krochen zwischen den Weiden und Mooreichen hervor, leckten über ihre Füße. Der sterbende Tag erinnerte sie daran, dass ihre Mutter nun schon seit zwei Tagen nicht nachhause gekommen war. Zwar würde sie es vor Ophelia nie zugeben, doch langsam begann sie, ihre Sorge zu teilen. Auf Ophelias Drängen hin hatte sie ein paar Mal versucht, ihre Mutter telefonisch zu erreichen, bisher jedoch ohne Erfolg. Aus einem Impuls heraus zog sie ihr Handy aus der Hosentasche, drückte die Kurzwahltaste und wartete. Die Mailbox antwortete.
»Mama? Hier ist Doreé. Wo bist du? Bitte melde dich. Wir machen uns Sorgen.«
»Probleme zu Hause?«, fragte die weißhaarige Frau neben ihr.
Doreé sah überrascht auf. Sie war es nicht gewohnt, dass Fremde sie ansprachen, schon gar nicht so direkt. Doreé schüttelte den Kopf. »Nein.«
Die Frau musterte sie, als würde sie abwägen, ob sie log. Unbehaglich drehte sich Doreé um und ließ ihren Blick in die Ferne schweifen. »Kommst du oft hierher?«, unterbrach die Frau ihre Gedanken.
Doreé zuckte zusammen. »Äh ja … manchmal.«
Die Frau fixierte sie. »Es ist angenehm kühl heute Abend.«
Doreé runzelte die Stirn. Merkte die Frau denn nicht, dass sie nicht an einer Unterhaltung interessiert war? Sie warf einen Blick über die Schulter, überlegte, ob sie lieber gehen und an einer anderen Stelle auf David warten sollte. Doch da sie nicht wusste, aus welcher Richtung er kommen würde, entschied sie sich dagegen.
Keine Menschenseele war zu sehen. Selbst die afrikanischen Dealer waren verschwunden. Sie war allein mit dieser neugierigen Frau. Wo blieb nur David? Die Sonne sank immer tiefer, der Rand berührte bereits die Linie am Horizont. Als letzte Demonstration ihrer Schönheit und Kraft übergoss sie den See mit Rot und Gold. Ein atemberaubender Anblick, den Doreé gerne in Ruhe genossen hätte.
»Du solltest nicht hier sein«, warnte die Frau plötzlich, streckte den Arm aus und legte ihre Hand auf Doreés Unterarm. »Nicht um diese Uhrzeit und vor allem nicht allein.«
Erschrocken über die unerwartete Berührung blickte Doreé auf die Finger, die wie selbstverständlich auf ihrem Arm verweilten. Die Sehnen und ein bläuliches Adergeflecht schimmerten durch die helle Haut. Sicher lag es an dem Licht der untergehenden Sonne, dass sie den Eindruck hatte, als würde sich etwas unter der Haut der Frau bewegen, ein dunkler Schemen, wie eine Wolke oder ein wanderndes Hämatom. Ruckartig zog sie ihren Arm fort. »Ich kann schon auf mich aufpassen.«
Die Frau grinste. »Das glaube ich gern. Trotzdem. Fordere dein Glück nicht heraus, Doreé. Hier treiben sich weitaus dunklere Gestalten herum als Drogendealer.«
Woher kannt die Frau ihren Namen? Unbehaglich blickte Doreé zum Weg, versuchte, die Fluchtmöglichkeiten abzuwägen. »Kennen wir uns irgendwoher?«
Nun stieß die Frau einen Seufzer aus, als könnte sie nicht verstehen, warum Doreé so etwas Dummes
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