ESCORTER (German Edition)
Erzfeinde.«
Er stieß einen Laut aus, halb Lachen, halb Schnauben. »Ich habe ihr nur klar gemacht, dass sie uns nicht mehr folgen soll.«
»Mit einem Messer?« Doreé konnte nicht anders, sie musste das fragen, musste wissen, aus welchem Holz David geschnitzt war.
Er wirkte ehrlich überrascht. »Ein Messer? Wie kommst du denn darauf? Ich verabscheue Gewalt.«
Sie war sich nicht sicher, ob er log. Immerhin hatte sie unter der beginnenden Panik gelitten. Vielleicht hatte sie sich tatsächlich alles nur eingebildet. Aber er hatte etwas aus seiner Jeans gezogen, da war sie sich sicher. »Du hattest etwas Glänzendes in der Hand. Was war das?«
Wieder dieses Lächeln, das Grübchen in seine Wangen zauberte und sein Gesicht erhellte wie eine Sonne. Konnte ein solches Lächeln lügen? Er nestelte an seiner Jeans herum und zog ein Feuerzeug hervor. Ein silberfarbenes Zippo. »Meinst du das hier?«
Einen Augenblick lang starrte Doreé auf das Zippo, bevor sie mit den Schultern zuckte. »Kann sein.«
»Ich habe ihr Feuer gegeben. Sie raucht«, erklärte er.
Plötzlich brannte Scham auf ihren Wangen. »Du musst mich für völlig irre halten.«
Lachend winkte David ab. »Wenn du dich für irre hältst, dann hast du noch nicht meine Mitbewohner kennengelernt. Gegen die bist du so normal wie eine weiße Schneeflocke.«
Unwillkürlich musste Doreé grinsen. »Es tut mir leid. In den letzten Tagen bin ich ziemlich angespannt.«
Schlagartig wurde er wieder ernst. »Willst du mir erzählen, warum?«
Doreé schüttelte den Kopf. Sein aufgesetztes Verständnis irritierte sie. Zudem fühlte sie sich unwohl unter seinem Blick, der eher neugierig als interessiert war. Sie beschloss, das Thema in andere Bahnen zu lenken als die Besprechung ihrer Probleme.
»Ich brauche jetzt dringend etwas Fett oder Zuckerhaltiges. Wollen wir irgendwo hingehen?«
»Wenn du etwas wirklich Fettiges brauchst, dann kenne ich den perfekten Ort«, sagte er und streckte ihr die Hand hin. »Gio‘s Pizzeria. Ich behaupte, dass du dort die beste Pizza in ganz Berlin bekommst.«
Zögerlich ergriff sie seine Hand. Körperliche Nähe, nachdem sie sich kurz zuvor zur völligen Idiotin gemacht hatte, erschien ihr unangebracht. Anderseits konnte sie ein wenig Halt gerade gut gebrauchen. »Okay, gehen wir.«
* * *
Das Restaurant seiner Wahl entpuppte sich als eine heruntergekommene Gaststätte mit einem türkischstämmigen Besitzer, einem indischen Koch und einer polnischen Bedienung mit wasserstoffblonden Dauerwellen und pinkfarbenen Lippen. Doreé nahm auf einer der Sitzbänke Platz, als ihr die Kellnerin auch schon die laminierte Karte vor die Nase hielt.
Sie einigte sich mit David auf eine große Pizza mit Pepperoniwurst, Spinat und extra Käse. Während sie auf die Bestellung warteten, erfuhr Doreé, dass David sein Informatik-Studium geschmissen hatte und vorübergehend in einem Waffenladen jobbte. Er erzählte das mit einer Lässigkeit, die sie faszinierte. Keine Spur von Bedauern oder dem Versuch, sich für sein vermeintliches Versagen zu entschuldigen. Er schien mit sich und seiner Entscheidung im Reinen. Auch dass er in einer WG lebte, beeindruckte sie, und dass er davon träumte, die Welt zu bereisen. So wie sie ihn einschätzte, würde er das eines Tages auch tun.
Nach dem Essen begleitete er sie zu ihrem Auto. Doreé überlegte, ob er versuchen würde, sie zu küssen und wenn ja, ob sie das wollte. Seit dem Reinfall mit Max hatte sie niemanden mehr geküsst. Der Teil von ihr, der ihn attraktiv und charmant fand, wünschte es sich. Der misstrauische und besorgte Teil dagegen riet ihr, es lieber zu lassen. Trotzdem. Die tiefe Sehnsucht nach Nähe, nach jemandem, der sie verstand, sie vielleicht sogar begehrte, weil es ihm nichts ausmachte, dass sie anders war, ließ sich nicht leugnen, geschweige denn unterdrücken.
Sie wollte eine normale, junge Frau sein. Eine, die sich mit Männern traf und die nicht alptraumhafte Visionen und Panikattacken bekam, sobald er sie ihrer Kleider entledigte. Eine, die keinen toten Zwillingsbruder, einen verschwundenen Vater und eine unnahbare, übermenschliche Mutter hatte.
»Es war sehr schön mit dir«, sagte David und riss sie damit aus ihren Grübeleien.
»Ja, mir hat es auch gefallen.« Doreé merkte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg bei dem Gedanken an einen Kuss. Wenn er nicht den ersten Schritt tat, würde sie es gewiss nicht wagen.
»Also dann …«, sagte sie und
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