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Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Esquivel
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Part spielen und acht haben, daß ihre Sinne nicht vom Hochzeitsmarsch, von den Worten des Priesters oder vom Ringetausch betäubt würden.
    Also ließ sie ihre Gedanken bis zu jenem Tag zurückschweifen, als sie im Alter von neun Jahren mit einer Horde Dorfjungen losgezogen war. Man hatte ihr untersagt, mit Jungen herumzutollen, doch die langweiligen Spiele mit ihren Schwestern war sie leid gewesen. Um herauszufinden, wer in der kürzesten Zeit an das andere Ufer schwimmen würde, hatten sie sich zur breitesten Stelle des Flusses begeben. Wie hatte ihr Herz doch vor Freude gehüpft, als sie an jenem Tag den Sieg davontragen konnte.
    Einen weiteren großen Triumph hatte sie an einem ruhigen Sonntag im Dorf gefeiert. Sie war 4 Jahre alt und in Begleitung ihrer Schwestern mit der Kutsche ausgefahren, als einige Jungen einen Feuerwerkskörper nach ihnen geworfen hatten. Vor Entsetzen waren die Pferde mit ihnen durchgegangen. Außerhalb des Dorfes hatte der Kutscher vollends die Kontrolle über den Wagen verloren.
    Da hatte Tita ihn einfach zur Seite gestoßen und ganz allein die Gewalt über die vier Pferde gewonnen. Als einige Männer aus dem Dorf im Galopp zu Hilfe eilten, hatten sie nicht schlecht über Titas Wagemut gestaunt.
    Das Dorf hatte sie schließlich wie eine Heldin empfangen.
    Diese und zahlreiche ähnliche Szenen aus ihrer Vergangenheit lenkten sie während der Trauung ab und ließen sie das innige Lächeln einer zufriedenen Katze aufsetzen, bis es an der Zeit war, die Braut in die Arme zu schließen und ihr Glück zu wünschen. Pedro, der dabeistand, sagte zu Tita:
    »Und mir wollen Sie nicht gratulieren?«
    »Doch, selbstverständlich. Ich wünsche Ihnen viel Glück!«
    Pedro zog sie fester an sich, als der Anstand es erlaubte, und nützte diese einmalige Gelegenheit, um Tita etwas ins Ohr zu flüstern:
    »Ich bin sicher, daß dieses Glück eintreten wird, denn durch die Hochzeit habe ich erreicht, was ich mir so sehnlichst wünschte: Ihnen nahe zu sein, der Frau, die ich als einzige aus vollem Herzen liebe.«
    Die Worte, die Pedro soeben ausgesprochen hatte, wirkten auf Tita wie eine heftige Brise, die eine erlöschende Kohlenglut von neuem entfacht. Nachdem sie ihre Gesichtszüge so viele Monate lang beherrscht hatte, um nichts von ihren Gefühlen zu verraten, ging nun ein unkontrollierbarer Wandel mit ihr vor, und ihre Miene spiegelte unendliche Erleichterung, ja Heiterkeit wider. Es war, als begänne der schon fast erloschene Vulkan plötzlich durch Pedros feurigen Atem auf ihrem Hals, seine Hände auf ihren Schultern, seine stürmische Brust auf ihren Brüsten erneut zu brodeln ... Sie hätte auf ewig in dieser Haltung verweilen mögen, wäre da nicht Mama Elena gewesen und ihr Blick, der bewirkte, daß sie sich schnellstens von Pedro löste. Da trat ihre Mutter auch schon hinzu und wollte wissen:
    »Was hat dir Pedro eben zugeflüstert?«
    »Nichts, Mami.«
    »Mir kannst du nichts vormachen, da mußt du schon früher aufstehen, also spiel nicht das Unschuldslamm. Und Gott stehe dir bei, wenn ich dich ein zweites Mal in Pedros Nähe sehe.«
    Nach dieser Schelte achtete Tita darauf, sich von Pedro so weit wie möglich entfernt zu halten. Freilich wollte es ihr um keinen Preis gelingen, ein breites Lächeln als Zeichen ihrer Genugtuung zu unterdrücken. Von Stund an gewann diese Hochzeit für sie eine andere Bedeutung.
    Nun störte es sie nicht mehr im geringsten zuzusehen, wie Pedro und Rosaura von Tisch zu Tisch schritten, um mit den Gästen anzustoßen, wie sie den Walzer tanzten oder später ihren Hochzeitskuchen anschnitten. Endlich hatte sie Gewißheit erlangt: Pedro liebte sie. Sie hoffte nur, das Festmahl nähme bald ein Ende, dann würde sie schnell zu Nacha laufen, um ihr alles brühwarm zu erzählen. Voller Ungeduld wartete sie ab, daß die Gäste ihren Kuchen aufäßen, damit sie sich zurückziehen durfte. Wie man im Carreño-Benimmbuch nachlesen konnte, verboten es die Anstandsregeln, sich vorzeitig zu erheben; freilich konnten sie nicht verhindern, daß sie förmlich im siebenten Himmel schwebte, während sie ihr Kuchenstück hinunterschlang. Sie war zu tief in Gedanken versunken, um zu bemerken, daß es um sie herum augenscheinlich nicht mit rechten Dingen zuging. Eine unendliche Schwermut breitete sich unter den Anwesenden aus, sobald sie den ersten Bissen von dem Kuchen gegessen hatten. Selbst den sonst so nüchternen Pedro kostete es eine unglaubliche Beherrschung, seine Tränen

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