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Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Esquivel
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abkühlen. Schließlich schlägt man sie mit einem Holzlöffel, bis sie sämig wird.
    Um die Masse aufzutragen, gibt man einen Löffel Milch hinzu, stellt sie erneut auf das Feuer, damit sie wieder flüssig wird, färbt sie mit einer Prise Karmin ein und streicht sie dann auf die obere Hälfte des Kuchens.
    Nacha entging nicht, wie sehr Tita sich quälte, als diese sie fragte, ob sie nicht noch das Karmin hinzufügen wolle.
    »Mein Mädchen, das habe ich doch eben getan, siehst du nicht, daß sich die Glasur rötlich verfärbt?«
    »Nein ...«
    »Komm, geh schlafen, Kindchen, ich mache das Baiser fertig. Nur die Töpfe können ermessen, wie sehr der Sud in ihrem Inneren brodelt, ich freilich kann mir sehr gut den Aufruhr vorstellen, der dich insgeheim plagt. Und nun fang nicht wieder an zu weinen, du verwässerst mir auch noch die Glasur, bis sie zu nichts mehr zu gebrauchen ist, los geh schon.«
    Nacha bedeckte Tita über und über mit Küssen und schob sie aus der Küche hinaus. Woher nahm Tita bloß noch all diese Tränen, doch da waren sie nun einmal und drohten die Konsistenz der Kuchenglasur zu verändern. Ihr Gelingen kostete Nacha schließlich die doppelte Mühe. Dann begab sie sich umgehend daran, allein das Baiser aufzuschlagen, damit auch sie endlich schlafen gehen konnte. Es wird aus 10 Eiweiß und 500 g Zucker hergestellt, wobei man beides gründlich verquirlt, bis die Mischung eine klebrig feste Konsistenz bekommt.
    Als sie mit der Arbeit fertig war, kam Nacha die Idee, noch einen Finger in den Kuchenteig zu tauchen, um zu prüfen, ob Titas Tränen den Geschmack verändert hatten. Zum Glück schienen sie ihn nicht beeinträchtigt zu haben, doch ohne zu wissen warum, überkam Nacha unvermittelt ein Gefühl tiefster Wehmut. Sie rief sich jeden einzelnen Hochzeitsschmaus ins Gedächtnis, den sie für die Familie De la Garza vorbereitet hatte, immer mit der Vorstellung, es handele sich um ihre eigene. Mit ihren jetzt 85 Jahren war es sinnlos, noch zu weinen oder darüber zu klagen, daß es niemals zu dem ersehnten Festessen oder der erhofften Hochzeit gekommen war, wenngleich der Bräutigam sich sehr wohl eingestellt hatte. Und ob! Nur daß es Mama Elenas Mutter im Nu gelungen war, ihn wieder zu verscheuchen. Von da an hatte sie sich damit abgefunden, fremde Hochzeiten zu genießen, und so hatte sie es klaglos viele Jahre lang gehalten. Daher wunderte sie sich selbst, warum sie ausgerechnet jetzt trübselig wurde. Sie spürte sehr wohl, daß es reichlich närrisch war, und doch konnte sie dagegen nicht ankommen. So gut sie vermochte, überzog sie den Kuchen mit der Zuckermasse und begab sich schließlich mit einem stechenden Schmerz in der Brust auf ihr Zimmer. Dort weinte sie die ganze Nacht über und fühlte sich noch am nächsten Morgen so zerschlagen, daß sie der Hochzeit nicht beiwohnen konnte.
    Tita hätte alles darum gegeben, an Nachas Stelle zu sein, denn sie mußte nicht nur in der Kirche zugegen sein, sondern, egal wie ihr zumute war, sich bemühen, daß ihr Gesicht nur ja nicht die mindeste Gemütsbewegung verriet. Sie meinte sogar, es könnte ihr gelingen, nur durfte ihr Blick nicht Pedros kreuzen. Ein solcher Zwischenfall würde allen Frieden und die ganze Ruhe, die sie zur Schau trug, hinfällig machen.
    Sie wußte, daß sie mehr als ihre Schwester Rosaura im Mittelpunkt des allseitigen Interesses stand. Den Gästen war weniger daran gelegen, der Familie ihre Aufwartung zu machen, als sich an Titas Leid zu ergötzen, doch sie würde ihnen einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Sie konnte förmlich spüren, wie sich ihr das Getuschel der Anwesenden beim Vorübergehen in den Rücken bohrte.
    »Hast du Tita schon gesehen? Die Ärmste, ihre Schwester wird ihren Liebsten heiraten! Einmal habe ich sie sogar auf dem Dorfplatz ertappt, wie sie Händchen hielten. Sie wirkten so unendlich glücklich!«
    »Sag bloß. Also Paquita meint, sie habe eines Tages entdeckt, wie Pedro Tita mitten bei der Messe einen Liebesbrief zuspielte, sogar einparfümiert!«
    »Es heißt, sie werden unter dem gleichen Dach leben! Ich an Elenas Stelle würde das auf keinen Fall zulassen!«
    »Ich glaube kaum, daß sie so naiv ist. Sieh doch bloß, wie die Leute schon darüber reden!«
    Tita behagten diese Kommentare ganz und gar nicht. Die Rolle der Verliererin war ihr nicht eben auf den Leib geschrieben. Sie mußte deutlich eine Siegespose einnehmen! Wie eine große Schauspielerin wollte sie würdevoll ihren

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