Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
zurückzuhalten. Ja auch Mama Elena, die sich nicht einmal beim Tod ihres Mannes eine Träne des Kummers gestattet hatte, weinte nun still vor sich hin. Und damit nicht genug, denn schließlich erwies sich dieses Schluchzen als erstes Anzeichen einer mysteriösen Vergiftungserscheinung, die ausnahmslos allen Gästen ein niederschmetterndes Gefühl der Trauer einflößte und dazu führte, daß sie sich schließlich, wo sie nur gingen und standen, sei es im Patio, bei den Gehegen oder gar in den Toiletten, wiederfanden, wie sie der großen Liebe ihres Lebens nachweinten. Nicht ein einziger entging diesem Bann, und nur wenige Glückliche erreichten beizeiten eine der Toiletten; die übrigen beteiligten sich an der allgemeinen Orgie, in der sie allesamt mitten im Patio das wunderbare Festmahl wieder zutage förderten. Nur auf Tita hatte der Kuchen eine Wirkung wie der Wind auf Benito Juarez. Sobald sie nämlich ihr Mahl beendet hatte, verließ sie fluchtartig das Fest. Sie wollte Nacha umgehend mitteilen, daß sie sich nicht getäuscht habe, daß Pedro, wie Nacha ihr ja prophezeit hatte, keine andere als sie liebe. Bei der Vorstellung, welch glückliches Gesicht Nacha machen würde, nahm sie das allgemeine Leid, das um sie herum beständig wuchs und schließlich jämmerliche, ja alarmierende Ausmaße annahm, schlichtweg nicht wahr.
Selbst Rosaura war genötigt, den Ehrentisch unter Würgen zu verlassen. Um jeden Preis wollte sie ihre Übelkeit unterdrücken, doch diese war stärker als sie. Alles hätte sie darum gegeben, ihr Hochzeitskleid zu schützen, als ihre Verwandten und Freunde sich allesamt übergaben, doch beim Versuch, den Hof unbeschadet zu überqueren, glitt sie aus, und schließlich blieb keine einzige Stelle ihres Kleides mehr unbefleckt. Ein mächtiger, reißender Strom umspülte sie und zog sie dann einige Meter weit mit, wobei sie nicht länger standzuhalten vermochte und wie ein ausbrechender Vulkan in eruptiven Stößen aus vollem Hals unter Pedros entsetzten Blicken erbrach. Rosaura bejammerte unter Tränen diesen Zwischenfall, der ihr die Hochzeit gründlich verdarb, und keine Macht der Welt hätte sie von dem Verdacht abbringen können, Tita habe dem Kuchen irgendein geheimes Mittel beigemischt.
Die ganze Nacht verbrachte sie hin- und hergerissen zwischen Wehklagen und der quälenden Angst, sie könne die Laken beschmutzen, an denen so lange Zeit gestickt worden war. Pedro schlug seinerseits eiligst vor, den Höhepunkt der Hochzeitsnacht auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen. Doch es sollten noch Monate vergehen, bevor Pedro sich bemüßigt fühlte, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen, und Rosaura es wagte, ihm zu verstehen zu geben, sie fühle sich wieder vollkommen hergestellt. Pedro hatte jedenfalls diese Zeitspanne gebraucht um einzusehen, daß er sich nicht mehr länger um seine Pflicht, als Samenspender zu dienen, herumdrücken konnte, und noch in der gleichen Nacht kniete er vor dem Bett, das mit dem Hochzeitslaken bedeckt war, nieder und murmelte im Tonfall eines Gebets:
»Herr, nicht aus Sünde und Begehren, nur für den Sohn zu Deinen Ehren.«
Tita hatte keine Ahnung, daß Pedro so lange Zeit bis zum Vollzug der besagten Ehe verstreichen ließ. Eigentlich interessierte es sie auch herzlich wenig, wie es war, ob es sich am Tag der kirchlichen Zeremonie oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt ereignete.
Mehr als an allem anderen war ihr daran gelegen, ihre eigene Haut zu retten. Denn noch in der Hochzeitsnacht hatte sie von Mama Elena eine solche Tracht Prügel bezogen, daß ihr Hören und Sehen verging. Zwei volle Wochen verbrachte sie im Bett, um sich von den Hieben zu erholen. Der Grund für diese grausame Züchtigung war Mama Elenas Überzeugung, Tita habe im heimlichen Einvernehmen mit Nacha von vorneherein geplant, Rosaura die Hochzeit gehörig zu verleiden, indem sie ein Brechmittel in den Kuchen gab. Nie sollte es Tita gelingen, sie davon zu überzeugen, daß die Tränen, die sie bei der Zubereitung vergossen hatte, der einzige Fremdstoff im Kuchen gewesen waren. Nacha konnte Tita nicht mehr als Zeugin beistehen, denn als Tita noch am Abend der Hochzeit zu ihr gegangen war, hatte sie diese tot, mit starrem Blick, angetroffen, an den Schläfen mit Talg bestrichene Papierstreifen gegen Kopfschmerzen und in den Händen das Foto eines verflossenen Verehrers.
FORTSETZUNG FOLGT...
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KAPITEL DREI
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