Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
ging sie zu zaghaft vor, so daß die arme Wachtel, statt zu sterben, mit zur Seite hängendem Kopf ihr Schicksal jämmerlich durch die ganze Küche beklagte. Dieser Anblick entsetzte Tita fürchterlich. Ihr wurde klar, daß sie beim Töten nicht zimperlich sein durfte: Entweder führte man es energisch durch, oder man fügte grauenvolles Leid zu. In diesem Augenblick wünschte sie, Mama Elenas Kraft zu besitzen. Ihre Mutter tötete so, wie es erforderlich war, mit einem Hieb und mitleidslos. Na ja, um ehrlich zu sein, nicht ganz so. Bei ihr hatte Mama Elena eine Ausnahme gemacht, indem sie bereits begonnen hatte, sie umzubringen, als sie noch ein Kind war, ganz allmählich, doch den letzten Schlag hielt sie bisher aus irgendwelchen Gründen zurück. Pedros Hochzeit mit Rosaura hatte sie nicht anders als die Wachtel zugerichtet, mit gebrochenem Hals und Herzen, doch bevor sie zuließ, daß die Wachtel den gleichen Schmerz erlitt wie sie selbst, setzte Tita deren Leben rasch und entschlossen ein Ende. Mit den übrigen ging alles erheblich leichter. Tita brauchte sich lediglich vorzustellen, jeder einzelnen Wachtel stecke ein weichgekochtes Ei im Kropf und sie befreie sie von dieser Folter, indem sie ihr den Gnadenstoß versetzte. Als Kind hätte sie unzählige Male lieber sterben mögen, als das berüchtigte und unvermeidliche weichgekochte Ei zum Frühstück aufzuessen. Doch Mama Elena zwang sie stets dazu. Tita schnürte es jedes Mal die Kehle völlig zusammen, so daß sie außerstande war, auch nur einen Bissen hinunterzuwürgen, bis ihre Mutter ihr einen gezielten Schlag auf den Hinterkopf versetzte, was Wunder wirkte und ihr den Knoten in der Kehle löste, woraufhin das Ei plötzlich anstandslos hinabglitt. Danach beruhigte sie sich meist ein wenig und brachte die weiteren Bissen leichter hinunter.
Fast mochte es scheinen, Nacha selbst sei es, die in Titas Gestalt alle Handgriffe erledigte: die Vögel trocken rupfen, die Eingeweide herausnehmen und die Wachteln braten.
Nach dem Rupfen und Ausnehmen werden dem Geflügel die Füße zusammengebunden, damit es seine anmutige Haltung bewahrt, während es in Butter gebräunt lind mit Pfeffer und Salz nach Geschmack gewürzt wird.
Wichtig ist, daß die Vögel trocken gerupft werden, denn taucht man sie in siedendes Wasser, wird der Geschmack des Fleisches beeinträchtigt. Dies ist eines der unzähligen Geheimnisse der Kochkunst, die man erst mit der Praxis lernt. Da Rosaura freilich, seitdem sie sich die Hände auf dem Comal verbrannt hatte, gänzlich das Interesse an kulinarischen Fertigkeiten verloren hatte, waren ihr logischerweise jene und andere gastronomische Raffinessen unbekannt. Dennoch hatte sie – Gott weiß warum, vielleicht um Pedro, ihren Ehemann, zu beeindrucken oder Tita auf ihrem ureigenen Gebiet Konkurrenz zu machen – eines Tages das Wagnis auf sich genommen, ein Gericht zu kochen. Als Tita ihr netterweise einige Ratschläge erteilen wollte, hatte Kosaura ausgesprochen gereizt reagiert und verlangt, man solle sie gefälligst unbehelligt in der Küche walten lassen.
Wie nicht anders zu erwarten, entpuppte sich der Reis am Ende als pappig, das Fleisch war versalzen und das Dessert angebrannt. Doch niemand am Tisch hatte sich zu irgendeiner Geste des Mißfallens hinreißen lassen, hatte doch Mama Elena gebieterisch verkündet:
»Rosaura hat heute zum ersten Mal gekocht, und ich denke, dafür ist es ihr nicht einmal schlecht gelungen. Was meinen Sie, Pedro?«
Pedro hatte sich mächtig zusammengerissen und, um seine Frau nicht zu verletzen, erwidert:
»Nein, für das erste Mal ist es gar nicht so übel.«
Natürlich litt die ganze Familie noch am gleichen Nachmittag unter Magenbeschwerden. Sie fühlten sich ziemlich elend, freilich in weniger spektakulärem Ausmaß als am Hochzeitstag auf dem Patio. Die Verbindung von Titas Blut mit den Blütenblättern der Rosen, die Pedro ihr verehrt hatte, sollte allerdings noch weiteren Sprengstoff liefern.
Als man sich zu Tisch setzte, war die Stimmung noch gerade erträglich bis zu dem Moment, als die Wachteln aufgetragen wurden. Pedro, der sich nicht damit begnügte, die Eifersucht seiner Frau provoziert zu haben, schloß beim ersten Happen verzückt die Augen und rief aus:
»Dies ist eine geradezu himmlische Köstlichkeit!«
Mama Elena, die zwar bei sich anerkennen mußte, daß dieses Gericht meisterhaft gelungen war, mißbilligte gleichwohl den soeben geäußerten Kommentar und versetzte:
»Es ist
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