Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
zwanziggängigen Gelages sowie die unzähligen vorab zu reichenden Appetithäppchen standen schon für das Festmahl bereit. In der Küche hielten sich nur noch Tita, Nacha und Mama Elena auf. Chencha, Gertrudis und Rosaura hatten alle Hände voll damit zu tun, das Hochzeitskleid für den großen Tag herzurichten. Unendlich erleichtert griff Nacha nach dem vorletzten Ei und wollte es gerade aufschlagen. Doch da entfuhr Tita ein Schrei, und es gelang ihr eben noch im letzten Moment, Nacha aufzuhalten.
»Nein!«
Tita hielt im Rühren inne und nahm das Ei in die I land. Unverkennbar hörte sie durch die Schale hindurch das Piepsen eines Kükens. Als sie ihr Ohr noch näher heranführte, konnte sie es ganz deutlich wahrnehmen. Mama Elena ließ ihre Arbeit augenblicklich ruhen und I ragte warnend:
»Was ist los? Warum hast du so geschrien?«
»In diesem Ei ist ein Küken! Nacha kann es natürlich nicht hören, aber ich!«
»Ein Küken? Bist du nicht bei Trost? Das ist bei eingelegten Eiern vollkommen ausgeschlossen!«
Mit zwei Sätzen war sie auch schon bei Tita, riß ihr das Ei aus der Hand und schlug es auf! Mit aller Gewalt preßte Tita die Augen zu.
»Öffne gefälligst die Augen und sieh dir dein Küken an!«
Nur zögernd schlug Tita die Augen auf. Völlig fassungslos mußte sie da feststellen, daß sie ein ganz normales Ei, und noch dazu ein zweifellos frisches, für ein Küken gehalten hatte.
»Nun hör mir mal gut zu, Tita, allmählich reißt mir der Geduldsfaden. Merk dir endlich: Ich verbitte mir, daß du derartig respektlose Scherze mit mir treibst. Schreib dir das hinter die Ohren, sonst kannst du was erleben!«
Tita wußte sich niemals ganz zu erklären, was an jenem Abend tatsächlich vorgefallen war, ob sie sich den Laut, den sie gehört hatte, vielleicht in ihrer Erschöpfung nur eingebildet, es sich um eine bloße Sinnestäuschung gehandelt hatte? Vorläufig schien es ihr wohl das klügste, erst einmal weiterzurühren, um Mama Elena nicht unbedingt zur Weißglut zu bringen.
Beim Einrühren der letzten zwei Eier fügt man die abgeriebene Zitronenschale hinzu; wenn die Masse die nötige Festigkeit erreicht hat, wird das durchgesiebte Mehl nach und nach eingearbeitet, indem man es mit einem Holzspachtel allmählich unterhebt, bis es vollständig aufgebraucht ist. Zum Schluß wird eine Form mit Butter ausgestrichen, mit Mehl bestäubt und der Teig eingefüllt. Er muß 30 Minuten im Ofen backen.
Nacha war völlig erschöpft, nachdem sie drei Tage hintereinander nicht weniger als zwanzig verschiedene Gänge vorbereitet hatte, daher konnte sie es kaum noch erwarten, den Kuchen in den Ofen zu schieben und endlich schlafen zu gehen. Tita hatte sie dieses Mal nicht wie üblich entlastet. Zwar war keine einzige Klage über ihre Lippen gekommen, wohl auch weil der forschende Blick ihrer Mutter dies verhinderte, doch kaum hatte sie Mama Elena die Küche verlassen und auf ihr Zimmer gehen sehen, entfuhr ihr auch schon ein abgrundtiefer Seufzer. Da nahm ihr Nacha, die neben ihr stand, sanft den Rührlöffel aus der Hand, schloß sie in die Arme und sagte:
»Nun ist niemand mehr in der Küche, jetzt darfst du deinen Tränen endlich freien Lauf lassen, mein Kind, denn ich will nicht, daß dich morgen einer weinen sieht. Am wenigsten Rosaura.«
Nacha hatte Tita beim Rühren des Teiges unterbrochen, weil sie spürte, daß die Ärmste am Rande eines Nervenzusammenbruchs stand. Wenn sie es auch nicht in diesen Worten ausgedrückt hätte, so begriff sie doch, daß Tita am Ende ihrer Kräfte war. Im Grunde genommen fühlte sie sich selbst nicht besser. Mit Rosaura hatte sie sich noch niemals gut verstanden. Nacha hatte es von Beginn an geärgert, daß Rosaura sich grundsätzlich beim Essen zierte. Entweder rührte sie das Essen auf dem Teller gar nicht an, oder sie verfütterte es heimlich an Tequila, den Vater des Pulque. Nacha pflegte ihr vorzuhalten, sie möge sich ein Beispiel an Tita nehmen, die ihren Teller stets bis auf den letzten Rest leerte. Nur eine Ausnahme gab es, ein einziges Gericht, das Tita verabscheute, und zwar jenes weichgekochte Ei, das Mama Elena ihr immer wieder unerbittlich aufzwang. Doch im übrigen aß Tita, da sich Nacha ihrer kulinarischen Erziehung angenommen hatte, alles, was üblicherweise auf den Tisch kam, und nicht nur das, sondern auch Schnabelkerfen, Agavenraupen, Süßwassergarnelen, Pakas, Gürteltiere und ähnliches mehr, und /.war zu Rosauras allergrößtem Entsetzen. Dies
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