Essen mit Freunden - Roman
fünf Minuten schien er ein Eigenleben angenommen zu haben. Losgelöst von den Sätzen, die er sprach, entlieà er Böen dicker Luft in die Atmosphäre. Die blutroten Lippen schnappten nach den letzten Fetzen von Luises guter Laune, Zähne zermalmten mit jedem Wort unbarmherzig die Reste ihrer Wochenenderholung. Seit einer guten halben Stunde saà sie nun schon hier, den Schreibblock auf den Knien, den Drehblei
stift in der Hand. Es war Montagmorgen, Wochenplanung im Schreibbüro Text-Berg . Luise vermutete, dass am Sonntag wieder irgendetwas im Leben ihrer Chefin schiefgelaufen war.
»Haben Sie am Freitag noch die Druckerei erreicht? Wir kommen sonst in Verzug mit dem Termin.«
»Es war niemand mehr da«, antwortete Luise und blickte für kurze Momente vom Mund zu den Augen, die von solch einem kalten Grau waren, dass Ole ihre Chefin nur die Eisberg nannte.
»Warum haben Sie es nicht früher probiert? Sie wissen doch: Freitag ab eins macht jeder seins!«
»Weil Sie mich erst um halb zwei gebeten hatten, dass ich mich darum kümmern soll.«
Luise versuchte, dem Eisberg-Blick standzuhalten. Sie fröstelte.
DrauÃen war Altweibersommer, Spinnfäden wehten am Fenster vorbei und glänzten wie Traumgespinste, der blaue Himmel leuchtete frisch geputzt. Hier drinnen aber sank die gefühlte Temperatur auf beinahe null Grad. Luise ärgerte sich, dass sie sich am Morgen von der Sonne an der Nase hatte herumführen lassen. Mit ihrem Kaffee in der Hand hatte sie noch im Schlafanzug ein paar gestohlene Momente lang auf dem Balkon gesessen und sich dann nach dem Duschen für ihr Lieblingssommerkleid entschieden. Das dünne aus Chiffon. Vielleicht die letzte Chance, es in diesem Jahr noch einmal zu tragen. Violette Blumen in unterschiedlichen Nuancen auf cremefarbenem Grund. In diesem Kleid fühlte sie sich, als sei sie selbst eine Malvenblüte, die drauf und dran war, sich zu öffnen. Dabei wusste sie doch genau, dass es montags klüger wäre, sich eine Rüstung anzulegen. Wo
chenplanung mit Frau Berg war die denkbar schlechteste Umgebung für zarte Malven.
»Muss ich denn immer alles selbst machen?«, giftete der Mund hinter dem Schreibtisch. »Warum machen wir diese Besprechungen überhaupt?«
»Entschuldigung, Frau Berg, aber das Projekt mit den Flyern ist erst Mittwoch reingekommen. Wir hatten es letzten Montag noch gar nicht in der Planung. Und es war auch nicht abzusehen, dass â«
»Dann notieren Sie sich den Anruf in der Druckerei für heute als ersten Punkt auf der Liste. Wir haben sowieso schon zu viel Zeit verloren.«
Frau Berg wandte sich ab, lieà ihre Finger über die Tastatur fliegen und starrte auf den Computer. Aus dem Augenwinkel konnte Luise das Logo einer Immobilien-Suchmaschine auf dem Bildschirm erkennen. Also muss es wohl wirklich ein sehr anstrengendes Wochenende gewesen sein. Drei Trennungen der Bergs hatte Luise in ihrer Zeit bei Text-Berg schon mitbekommen. Und die drei dazugehörigen Versöhnungen ebenfalls. Sie war sich nicht sicher, welche Launen ihrer Chefin sie schlimmer fand, die »Ich suche mir eine eigene Wohnung«-Ausbrüche oder die »Wir sind so verliebt wie am Anfang«-Euphorie, die darauf folgte. In beiden Phasen neigte Frau Berg dazu, während der Wochenplanung mindestens viermal mit ihrem Mann zu telefonieren. Luise bemühte sich dann, möglichst unbeteiligt zu wirken. Schweigsam wie die Akten, dezent wie die Steckdosenleiste, auf Stand-by wie der Drucker wartete sie darauf, dass es mit der Besprechung endlich weiterging. Und dabei hatte sie mittlerweile mehr private Details der Familie Berg mitbekommen, als ihr lieb war.
»Ist noch was, Frau Blum?« Die Stimme war so kalt wie vorher der Blick.
Luise zuckte zusammen. Sie schüttelte den Kopf, klappte in Lichtgeschwindigkeit ihren Block zu und erhob sich. Für heute war die Wochenplanung also beendet.
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Im Grunde hatte sie sich das alles einmal ganz anders gedacht, doch diese Ãberlegungen schob Luise schnell zur Seite, als sie sich an ihren Schreibtisch setzte und zum Telefon griff. Vor gut acht Jahren hatte sie einen Job für den Ãbergang gesucht, weil ihre Stelle in dem Büro, in dem sie eigentlich auch nur übergangsweise arbeiten wollte, bis etwas Richtiges käme, gestrichen worden war. Nicht wissend, was dieses Richtige eigentlich sein könnte, war sie im Schreibbüro von
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