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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Schritte, leise Stimmen. Das Tohuwabohu im Eisberg-Zimmer ebbte ab. Sie hüpfte von Luises Schreibtisch.
    Â»Ich glaub, ich sollte mal wieder.« Sie zögerte. »Für den Weg«, flüsterte sie dann und steckte sich noch rasch einen Keks in den Mund. »Bis nachher.«
    Luise gab ihrem Schreibtischstuhl einen kleinen Stoß und rollte vor den Aktenschrank. Sie tat, als würde sie etwas Wichtiges hinter den Glastüren suchen, und warf dabei in der Spiegelung der Scheibe einen schnellen Blick auf ihr Kleid, auf ihre Frisur, auf ihr immer breiter werdendes Lächeln.
    Â 
    Kurz nach eins. Ein Lachen aus Frau Bergs Büro, Schritte, ein Klopfen am Türrahmen. Luise wirbelte herum und bemühte sich, wenigstens ein bisschen Überraschung in ihren Blick zu legen.
    Â»Oh, hallo Ole! Ich habe dich gar nicht kommen hören.« Ihre zweite Lüge innerhalb von zehn Minuten.
    Â»Ich wollte nur wissen, wann du Feierabend machst.« Ein Lächeln, ähnlich warm wie die Sonne am Morgen auf Luises Balkon.
    Â»Ich? Feierabend? Wieso?«
    Â»Die Eisberg hat mal wieder Stress mit ihrem Mann. Uuuaaah!« Ole schüttelte sich. »Sie hat mich nicht mal richtig begrüßt, weil sie nur am Telefon hängt. Und du weißt doch: Wenn ich eine Besprechung ihrer Grafikwünsche in dieser Stimmung überlebe, brauche ich hinterher unbedingt eine Belohnung.«
    Â»Belohnung?«, fragte Luise und ärgerte sich insgeheim, dass sie immer, wenn Ole auftauchte, eine Weile brauchte, um nicht jeden dritten Satz, den er sagte, wie ein Papagei zu wiederholen.
    Â»Gehst du nachher mit mir Kaffee trinken? Also: Wenn du nichts Wichtigeres vorhast.«
    Â»Moment mal«, sagte sie und blickte in ihren Kalender, in dem für heute Nachmittag nichts eingetragen war – was sie aber auch schon gewusst hatte, bevor sie ihn aufschlug. »Ja, passt. Ich bin bis halb drei hier. Danach ist frei.«
    Â»Super! Dann bis später.« Ole wandte sich zum Gehen. Doch mit einem kurzen Blick über die Schulter sagte er noch: »Schönes Kleid. Steht dir gut.«
    Luise hörte, wie seine Schritte sich entfernten. Und vor Freude auf ihrem Schreibtischstuhl wippend, öffnete die Malve ihre zart erröteten Blütenblätter.
    Â 
    Häuser flogen vorüber. Sie hatte die Scheibe ein Stück heruntergekurbelt, Fahrtwind im Haar. Nachmittagsträgheit breitete sich aus, ihr Nacken entspannte sich langsam. Eine Fahrradklingel, Wortfetzen, ein Lachen. Die Kakophonie der Stadt. An der Ampel zur Fußgängerzone Akkordeonklänge. Sanfte Melancholie wehte herein. Das Licht floss weich durch die Straßen. Altweibersommer-Sehnsucht. Eine lange Schlange reihte sich vor der Eisdiele auf. Ole fuhr langsamer, weil Kinder mit schlumpfblauen Lippen verzückt über die Straße liefen und eher Augen für das tropfende Gebilde in ihrer Faust hatten als für den Verkehr.
    Â»Das werde ich nie verstehen«, sagte Ole. »Es sieht nicht nur ekelhaft blau aus, es schmeckt auch genau so.«
    Luise sah zu den Kindern auf der Straße und dann zu
ihm. Manchmal, nachts, wenn sie im Dunkeln lag und nicht schlafen konnte, dachte sie an diesen Fächer von Lachfalten um seine Augen. Sie hätte die Linien aus dem Gedächtnis nachzeichnen können. In diesen Momenten, halbwach, allein zwischen den Laken, mit seinem Bild im Kopf, war Ole ihr vielleicht am nächsten. Dann hatte sie ihn ganz für sich, in ihren Gedanken, in ihrer Phantasie. Sie seufzte. Trägheit und Melancholie. Sie war sich sicher, dass er wusste, wie es um sie stand, auch wenn sie nie darüber gesprochen hatten. Aber warum hätten sie das tun sollen? Die Situation war schon klar, als sie sich vor mehr als zwei Jahren kennengelernt hatten. Unverrückbar. Sie streckte die Beine aus. Es quietschte leise.
    Â»Oh, hört sich fast so an, als hättest du ihn gefunden«, sagte Ole mit einem kurzen Seitenblick und lachte. »Den sucht sie schon eine ganze Weile.«
    Luise bückte sich, schob die Zeitungen zur Seite, die im Fußraum neben ihrer Tasche lagen, und entdeckte ein kleines, quietschendes Etwas. Sie zog es unter der schwarzen Gummimatte an einem langen Band hervor, auf dem LillyLillyLilly eingewebt war.
    Â»Sie verliert ihn dreimal in der Woche. Wir können froh sein, dass sie noch keinen eigenen Hausschlüssel hat, sondern nur diesen Schlüsselanhänger. Das käme uns teuer, jede Woche

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