Essen mit Freunden - Roman
Sybille dafür die Telefonnummern wie auf dem Silbertablett gereicht bekommen. Von Oliver, von Jens, von Matthias und von Daniel. Und natürlich die von Thorben. Aber die Nummer von Thorben hatte irgendwann sowieso jede.
Damals hätte sich Luise beim besten Willen nicht vorstellen können, dass sie in gemeinsamen Gesprächen über diese Abende irgendwann mal Formulierungen wie »früher â¦Â« und »erinnerst du dich noch, als â¦Â« einflechten
würden. Aber damals hatte sich auch niemand ernsthaft vorstellen können, dass es bald Telefone geben würde, die jeder ständig mit sich herumtragen konnte, um eine vollbesetzte U-Bahn zu unterhalten mit einem halb besänftigenden, halb genervten »Was? Du bist schon seit fünf Minuten da? ⦠Sorry, ja, ich komme gleich ⦠bitte, warte einfach ⦠nein, ich beeil mich, ehrlich ⦠Bussi!« Oder, noch viel unvorstellbarer: dass Anne irgendwann eine Uhr hätte und bei Verabredungen die Erste wäre, die vor der Tür stünde. Meist sogar eine Viertelstunde vor der Zeit.
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»O nein«, stöhnte Anne, als sie ihre Jacke an die Garderobe hängte, die Nase in die Luft hob und tief einatmete. »Bitte nicht schon wieder die Berg!«
Auf dem Weg zum Küchentisch, nahm sie zwei Gläser aus dem Schrank und griff sich die Weinflasche. Sie machte es sich auf dem Stuhl bequem und warf Luise einen auffordernden Blick zu. »Na los, erzähl schon.«
»Was denn?« Luise sah sie fragend an.
»Ãber die Berg«, sagte Anne.
»Wie kommst du auf die?« Luise versuchte, eine Prise Ãberraschung in ihre Stimme zu streuen.
»Weil es so riecht. Und deswegen.« Anne hielt ein leeres Päckchen Vanillezucker in die Höhe. »Und wegen der Mandeln. Und deswegen auch.« Sie deutete auf einen Rest Backpapier, der vorhin wohl unbemerkt auf den Küchenboden gefallen sein musste. »Immer wenn du Ãrger mit der Berg hast, gibt's Cantuccini.«
Luise zuckte ertappt zusammen. »Wirklich?« Sie versuchte, so zu tun, als wäre ihr das bisher nicht aufgefallen, denn sie wollte es nicht zugeben. Darum verschwieg sie auch den
Stapel Cellophantütchen in ihrem Küchenschrank, der seit ein paar Tagen nur darauf wartete, mit Keksen gefüllt und verschenkt zu werden. Niemand könnte all die Cantuccini, die sie produzierte, wenn sie mit der Berg aneinandergeraten war, allein essen. Ãber solche kleinen Mitbringsel aber würde sich jeder freuen. »Ich backe doch nicht nur wegen der Berg«, sagte Luise trotzig, um das Thema zu beenden.â
»Nicht nur. Stimmt. Aber ihretwegen gibt es Cantuccini. Als du rausgekriegt hast, dass Jörg ein Verhältnis hat, hast du angefangen, Schoko-Muffins und Brownies zu backen. Wegen dieser Glücklichmacher im Kakao. Bis du von der ganzen Schokolade irgendwann so übersät mit Pickeln warst, dass du nicht mehr in den Spiegel gucken wolltest und uns dann die Dinger mit nach Hause gegeben hast. Säckeweise. Du hast erst damit aufgehört, als Jörg endlich ausgezogen ist.«
Luise gab sich geschlagen und lehnte sich seufzend ans Spülbecken. Sie nahm das Weinglas entgegen, das Anne ihr reichte. »Es ist nicht wegen der Berg«, sagte sie leise, während sie sich zuprosteten.
»Weswegen dann?«, fragte Anne. »Wenn was mit deiner Mutter wäre, würdest du diesen wahnsinnig leckeren Hefekuchen machen, mit Buttertälern und Zuckerbergen. Und geraspelten Mandeln obendrauf.«
»Hefe â bitte nicht!«, schnaufte Luise und stellte das Weinglas unsanft auf den Spülbeckenrand.
»Was ist denn? Hast du nicht immer gesagt, Hefekuchen ist Seelennahrung, weil er dich an zu Hause erinnert? An Sommerferien auf dem Land, an BarfuÃlaufen, Hängematten, Baumhäuser und an Limonade mit Himbeersirup.«
»Bitte hör auf!« Luise wandte sich ab, klatschte die Hüh
nerschenkel auf die Arbeitsplatte und schob ihnen dünne Zitronenscheiben und Thymianzweige unter die Haut.
»Hefeteigmachen beruhigt dich doch. Was ist also auf einmal so verkehrt an Hefe?«
»Nichts!«, jammerte Luise, während sie die Hühnerschenkel reichlich und ohne hinzuschauen würzte, bevor sie sie in den Ofen schob.
»Komm, Luise, was ist los?«
»Gar nichts. Ich will nur nicht an zu Hause denken. Ich glaube nämlich, dass meine Mutter langsam spinnt.« Luise wirbelte zu
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