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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Frau Berg gelandet. Nur ungern gestand sie sich ein, dass Übergänge und Provisorien wohl mittlerweile eine Spezialität von ihr waren. Sie vergaß manchmal sogar, dass sie ein abgeschlossenes Germanistikstudium in der Tasche hatte, und bezeichnete sich wie selbstverständlich als Mädchen für alles. Genau in dieser Funktion war sie nun für Text-Berg tätig. Am Anfang waren es Korrekturen und Tippen nach Band gewesen, aber schnell schien ihre Chefin begriffen zu haben, dass Luise auch gut im Kundenkontakt war, ein Auge für Grafiken und Layout besaß und Grundkenntnisse in Buchhaltung hatte. Provisorien und Übergangsjobs waren schließlich die beste Ausbildung im Alles-Können. Und so hatte es nicht lange gedauert, bis aus der Arbeit auf Abruf eine zeitlich befristete Stelle geworden war, die seither jährlich verlängert wurde. Mehr, meinte Frau Berg, könne sie ihr leider nicht bieten. Wegen der unsicheren Auftragslage. Und mehr verlangte Luise auch nicht, denn insgeheim
hoffte sie immer noch darauf, dass dieses Richtige, nach dem sie sich sehnte, sich ihr plötzlich bieten würde. Und dann musste sie flexibel sein, um sofort zugreifen zu können.
    Â 
    Â»Mmmm, die sehen ja lecker aus. Darf ich?«, fragte Svenja, als sie sich auf Luises Schreibtisch setzte und sehnsüchtig zur Untertasse mit den Cantuccini blickte.
    Â»Nimm nur«, nickte Luise und ließ sich in ihren Stuhl zurücksinken. Der Nacken tat ihr weh, die Ohren summten.
    Sie hatte den halben Vormittag telefoniert, bei der Druckerei einen Express-Termin für den neuen Kunden mit den Flyern ergattert, einen Rabatt wegen der hohen Auflage ausgehandelt und sogar noch die Druckvorlage korrigieren können, weil dem Eisberg-Blick mal wieder ein paar Schreibfehler entgangen waren. Dann hatte sie die restliche To-do-Liste für heute abgearbeitet und außerdem die Adressdatenbank auf Vordermann gebracht. All die Dinge, die ein Mädchen für alles so nebenbei hinbekam.
    Â»Ich brauche eine Pause, ganz dringend«, stöhnte Svenja.
    Â»Bist du schon fertig mit den Briefen, oder ist es gestern wieder spät geworden?«
    Â»Ich war am Tresen bis halb drei. Und vorher gab's Live-Musik. Mir brummt immer noch der Kopf.« Svenja war bei Text-Berg für die Übersetzung von amtlichen Schreiben aus dem Spanischen zuständig. In ihrer Freizeit half sie in der Bar ihres Freundes aus. »Kann es sein, dass die Berg mal wieder Ärger mit ihrem Mann hat?« Sie schnappte sich den nächsten Keks.
    Â»Weiß nicht.« Luise zuckte mit den Schultern. Sie mochte Svenja. Mehr als sie ihre Chefin mochte. Aber die Loyalität,
die sie nach all den Jahren mit der Berg verband, war wie ein Knebel.
    Â»Immer wenn sie so miese Laune hat und den ganzen Morgen telefoniert, hat sie Ärger mit ihm. Ist dir das noch nicht aufgefallen? Hörst du. Sie keift schon wieder.« Svenja deutete zur Tür.
    Â»Habe ich gar nicht mitbekommen«, log Luise.
    Â»Stimmt es eigentlich, dass er ihr das Büro hier finanziert, damit sie sich zu Hause nicht langweilt?«, bohrte Svenja weiter und blickte unsicher zwischen dem letzten Keks und Luise hin und her.
    Â»Nimm ruhig, ich hab noch mehr.« Svenjas Frage ignorierend, griff sie in ihre Schreibtischschublade, in der zwei Cellophantütchen mit Cantuccini lagen: ein angefangenes und eines mit einer kleinen violetten Seidenbandschleife um den Verschluss-Clip.
    Â»Wenn er es nicht täte, wäre der Laden hier doch schon längst pleite.« Svenja machte eine kurze Pause und sah Luise an. »Und wenn du nicht immer wieder ihre Fehler ausbügeln würdest, auch.«
    Luise legte ein paar Kekse auf den leeren Teller und tat, als hätte sie diesen Nachsatz ebenfalls nicht gehört.
    Â»Es ist kurz vor eins«, sagte Svenja unvermittelt mit Blick auf die Uhr. »Dann können wir nur hoffen, dass sie gleich besser drauf sein wird.«
    Â»Wieso?«, fragte Luise und räusperte sich.
    Â»Heute um eins kommt doch Ole. Und wenn der kommt, ist sie immer gut drauf.« Ohne zu fragen, tunkte Svenja ihr Cantuccini in Luises Kaffee. »Kann ich aber auch verstehen. Ole ist nett.«
    Â»Ach ja«, murmelte Luise, halb Frage, halb Feststellung.
Sie hoffte, Svenja würde sich so sehr auf die Kekse konzentrieren, dass sie nicht mitbekam, wie auch sie zur Uhr sah.
    Aber Svenja war mit ihrer Aufmerksamkeit wohl schon wieder auf dem Flur.

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