Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
nur
zu hoffen, dass dieses gemeinschaftliche Totschlagen von Zeit zu einem
positiven Ergebnis führen würde. Zu einer Audienz bei dem Verantwortlichen
dieser lästigen, kleinen Konspiration, etwa. Die unverhoffte Gesellschaft des
halbstarken Rekruten Mendez würde wohl aber kaum unangenehmer werden, als das,
was hinter Daniel lag. Falls man ihm nicht noch einen weiteren Beweis seiner
Loyalität abzuverlangen vorhatte.
Fünf
“Hallo, Kitty“, murmelte Nika und schlüpfte aus den
Sneakern. Sie hob die Siamesin hoch und schmiegte ihre Wange in ihr warmes
Fell. „Ich weiß. Ich bin auch traurig.“
Mit einem Tütchen getrockneter Rinderstreifen in der
Hand und Kitty auf dem Arm balancierte Nika durch das total verwüstete
Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch, weil sowieso nichts anderes frei war.
Beseitigung des verursachten Chaos war offensichtlich nicht Teil einer
polizeilichen Wohnungsdurchsuchung.
Während Kitty eifrig die Snacktüte zerlegte, um an den
Inhalt zu gelangen, lehnte Nika sich zurück. Ihre Jeans war bis zu den Knien
hinauf nass, aber das würde schon wieder trocknen. Und die Mütze auf ihrem Kopf
störte auch keinen. Sie schloss die Augen.
Das iPhone zerstörte den Anflug von Ruhe, obwohl es
die Melodie eines eher harmlosen klassischen Musikstücks erklingen ließ. In
Nikas Ohren dröhnte es in der gefühlten Lautstärke eines Open-Air-Festivals,
und sie verstand völlig, weshalb Kitty sich jaulend unter der Couch verkroch.
Sie selbst kam ebenfalls sofort in Bewegung, nur dass ihre motorischen
Fähigkeiten komplett versagten, als sie versuchte, ihre Tasche neben sich auf
dem Boden zu ertasten. Das purpurne Krokodil war sowieso nicht da. Aber von
woher, zum Teufel, dröhnte Tschaikowski sein nerviges Heavy-Metal-Konzert denn
dann? Haustür? Küche? Flur? Durch das Chaos stolpernd folgte Nika dem Lärm, bis
sie die Tasche neben der Wohnungstür fand.
Ach ja. Hier hatte sie das schwere Ding beim
Hereinkommen auf den Boden rutschen lassen. Nika griff blindlings in den
Schlund des Ungetüms und zog schnellstmöglich das randalierende iPhone heraus.
„Ja!“
„Nika?“ Die Stimme ihres Dads stockte für einen
Moment. „Alles in Ordnung bei dir, Liebes?“
„Julian… Du bist es.“
Meine Güte. Nika musste sich zusammenreißen, wenn sie
vermeiden wollte, dass er sich unnötig aufregte. Sie sank an der Wand entlang
herunter, bis sie auf den Holzdielen saß, die in den vergangenen 18 Monaten
erstaunlich viele Furchen abbekommen hatten. Es war natürlich Julian gewesen, der
den Boden damals erneuern ließ, bevor Nika einziehen durfte. Den Boden, das
Bad, die Fensterrahmen und die Dachisolierung. Aber irgendwann hatte es nichts
weiter zu renovieren gegeben, und dann hatte der Despot tatsächlich den
goldenen Käfig aufgesperrt und Nika herausfliegen lassen. Nach Paris.
Nur 7 Minuten später saß Nika, wie befürchtet, auf dem
Rücksitz eines Taxis. Mitsamt Flohsack, wie Julian es ausgedrückt hatte, immer
noch in nasser Jeans und in Sophies Shirt. Neben ihr döste ihre Patentante Teresa,
die nur Sekunden nach dem Telefonat mit Julian bei ihr aufgetaucht war. Ohne
Jacke, dafür in enger Schlangenlederhose und mit ihren grandiosen silber
metallic Jimmy Choos an den bloßen Füßen, was zu dem Hoodie, in dem sie zu
ertrinken drohte, irgendwie seltsam aussah.
Zumindest würde Tess nicht frieren, im Taxi war es
warm. Nikas Mantel fühlte sich jedenfalls wie eine Heizdecke an. Sie lockerte
den dicken Strickschal, den sie unnötigerweise gleich mehrfach um ihren Hals
geschlungen hatte, und schob die Mütze in die Stirn. Sie schwitzte.
Das hatte ja ganz ausgezeichnet geklappt, mit Julian-nicht-aufregen.
Sonst supercool und souverän, Mann von Welt eben, hatte der Despot in
Anbetracht der aktuellen Ausnahmesituation einmal in seinem Leben wie jeder ganz
normale Durchschnitts-Daddy reagiert; er hatte seine Tochter nach Hause
zitiert. Und dabei dachte Nika, sie wäre erwachsen. Zumindest, seit sie ihren
Kaffee selber kochte, anstatt danach zu klingeln.
„Arme Tess, aus welcher Zeitzone hat Julian dich herausgezerrt?
Ich habe ihm lang und breit erklärt, dass es nicht nötig ist, dich
aufzuscheuchen.“
Teresa lächelte mit geschlossenen Augen.
„Schon gut, Schatz. Kein Problem.“
Nein. Für Teresa war es nie ein Problem. Das
zierliche, elfenhafte Wesen mit dem Gesicht einer Oberstufenschülerin und der
Schlagkraft eines Incredible Hulk hatte immer Zeit für Nika. Der
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