Esti (German Edition)
weinen.
Erfindung
Zu derselben Zeit geschah es, dass Esti das Doppelweinen erfand. Als er darauf kam, freute er sich dermaßen, dass er wochenlang außerstande war zu heulen, auch wenn die neue Methode zur Hand war. Die im Wesentlichen darin besteht, den Kopf seitlich auf das Kissen zu legen, so dass man sinnvoll von einem unteren und einem oberen Auge sprechen kann, und die Idee ist nun, eigentlich die Gravitation, dass die Träne aus dem oberen Auge in das untere fließt. Die konkrete Realisierung erfordert ein wenig individuelles Geschick, denn es reicht nicht, den Kopf auf das Kissen zu legen, man muss ihn auch leicht nach vorn hängen lassen, damit die Träne über den Nasensattel fließt.
Damit verging nach dem Tod seines Sohnes Estis Leben.
Onkel
Dieses viele Heulen, diese Heulerei ging ihm – Esti – schon auf die Eier. (In welchem Augenblick und worüber auch immer, beim Anblick eines ausgedienten Streichholzhalters oder eines müden Gesichts war er imstande, in Tränen auszubrechen.) Na, und da konnte er zu Onkel Ede gehen, dem Hautarzt der Familie.
Grabstein
Kornél Esti, das zeigt sich in jeder seiner Zeilen, war zugleich Vater und Sohn, und dann starb er. Der Tod ist nirgends zu sehen, ausschließlich auf dem Gesicht der Baroness. Ach ja, und auf dem Grabstein, das hätte ich fast vergessen.
Aus Kornél Estis Liedern
Treffen
Zur Zeit des Burenkrieges
oder wann auch immer
beschloss er
beschloss er nun
ab der darauffolgenden Woche
sich regelmäßig
mit seinem Vater mit seinem Sohn
zu treffen
Nur so
Physisch
Physisch in der Nähe sein
mal des Vaters mal des Sohnes
Spazieren
Seine Schulter berühren
Seinen Nacken
Ihn umarmen
Nach Hause gehen
Weinen
Ouvertürenkollektion
Die Ersten
K ornél Esti, das werden die ersten beiden Wörter, dachte Kornél Esti und schrieb, Kornél Esti.
Ein bisschen
Am 9. Februar 2004 schrieb ich wichtigtuerisch: 16:06. Nennt mich Kornél Esti. – Das ist zwar wie gewonnen, so zerronnen, aber zumindest haben wir einen Namen, einen Namen zwar, der bereits besetzt ist, der aber verlockend von sich behauptet, er sei leer, zu füllen, (noch!) unbestimmt – deshalb bittet er, fülle mich, bestimme mich, sage, wer ich bin. Irgendwie kann man immer ein bisschen dafür, heißt es bei Camus, irgendwie ist man immer ein bisschen fiktiv, behauptet Kornél Esti mit dem ganzen Gewicht seiner Existenz.
Trester
Kornél Esti hatte seinem neuen Romanhelden den Namen Kornél Esti gegeben und erhoffte sich davon die Abschaffung des Autobiographischen. Darüber haben wir viel gelacht. Esti und die Hoffnung sterben zuletzt. Meines Erinnerns haben wir damals meistens Trester getrunken, der Trester war in Mode gekommen. Wartet erst das Ende ab, sprach Esti mit dem vollen Ernst, der ironischen Würde (dem ganzen Gewicht) des Sprechens und schloss sich uns sowohl beim Lachen als auch beim Trinken an.
Gewissermaßen
Ich bin Kornél Esti, gewissermaßen.
Das Knabbern
V ater, Anschnauzen, beleidigtes Wegrennen, Vater, Streicheln,
schon gut, guter Hund, Zeigefinger, guter Hund, friss, Knabbern an dem väterlichen Zeigefinger. Das ist Estis Leben, dieses Knabbern.
II
RAUSCH IN DER FRÜHE
Der unendliche Paradiesapfel
E ines Sommerendes kam Esti aus Italien nach Hause, im Kopf die summende Melodie der Kilometer, im Herzen die Erinnerung an sonnenbeschienene Märkte, lärmende Straßenkinder, Tizians, der süß stinkende Geruch von Muscheln. Ich habe das Paradies gesehen, mit diesen Worten fiel er über uns her, glaubt es mir, Ungläubige, er, selbst ein Ungläubiger, zwinkerte uns zu.
Wir kannten seine Meerestheorie, das Meer macht ein Land besser, befreit es von den eigenen Fesseln, die Menschen heben den Kopf, in Ländern am Meer liegt der Horizont einfach höher, gehen Frauen und Männer stolzer, ohne eingebildet zu sein, sie kennen keinen Neid (dabei kennt ihn jeder), in Ländern am Meer wird das Unendliche sichtbar, selbst die Werktage verunendlichen sich, selbst die nichtssagenden Dienstage bekommen ein wenig Feierlichkeit, deshalb können die Hiesigen, wenn sie nicht auf der Hut sind, leicht an Größenwahn leiden, sie sind nicht selbstherrlich, doch sie genießen das selbstherrlich.
Wir riefen im Chor: Du hast das Meer gesehen!
Nein, meine Freunde, das Paradies ist nicht so groß wie das Meer, es ist kleiner, bedeutend kleiner. Ich habe die Küste gesehen und an der Küste eine Trauerweide und unter der Weide eine Familie.
Oh, die Familie, wir johlten, das
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