Esti (German Edition)

gegenseitig auf die Schulter, am Telefon, wer weiß, wie lange sie schon hinter ihren Schreibtischen säßen, doch kaum etwas habe sich geändert, auch nach vielen Jahrzehnten der Arbeit, des Schaffens machten sie mehr oder weniger dieselben Fehler, stünden vor denselben, höflich gesagt, Problemen, lediglich eine Sache habe sich geändert, sie wären von alldem jetzt vielleicht weniger entsetzt. Darauf lief es hinaus.
    Als er sich dann an sein neues Buch setzte, musste er feststellen, dass es nicht stimmte, auch das Entsetzen hatte sich nicht geändert. Egal, er zuckte die Schultern. Draußen wütete jetzt der Sommer. Doch nicht einmal die Ältesten erinnerten sich daran, dass man die Donau einst trockenen Fußes hätte überqueren können. Eine derart gute Zeit ist vielleicht gar nicht vorstellbar. Ich könnte es trotzdem versuchen, murmelte er vor sich hin und zuckte nur deshalb nicht die Schultern, weil er sowieso schon dabei war.
    Kornél Estis Leben.

Vielleicht
    P läne. Ausschließlich über unernste, nein, ernste und unernste Dinge mit dem ganzen Ernst, der ganzen ironischen Würde des Sprechens.
    Im konkreten Fall. Nation, Sakralität, ungarische Schicksalsfragen. Und so weiter. Kornél Esti – Kind seiner Zeit – blickte in den Spiegel und legte folgendes Bekenntnis ab (ich bitte die Aufrichtigkeit zu beachten, die vermutlich durch die frühe Stunde zu erklären ist): Als ich mich am Morgen in mein Zimmer setzte, seufzte ich, ich befürchte, seufzte ich glücklich: »Ich möchte über Unsinn schreiben! Über Ottos Mops, zum Frühstück servierte Nieren, die kosmischen Zusammenhänge, in denen mein über ein Jahr lang täglich fotografierter Schwanz steht. Und ich werde lernen: dem Vaterland tief in die Augen zu schauen, wie es ein anständiger Mensch tut, und zu fragen: How much, Herzchen? Hohle Einfälle, veralteter und verschrobener Humor, Trotzpose und Selbstgefälligkeit, Seichtheit.« Er lutschte am Bleistiftende. Vielleicht gelingt es. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagte er und gab – als Letztes – seine Seele an den Schöpfer zurück. Die Hoffnung ist Estis Leben.

Schlachtruf
im einundzwanzigsten Jahrhundert
    K ornél Esti überblickte sein Œuvre. Was auf dem Tisch lag, auf dem Tisch der Nation. Gott, Vaterland, Familie, stellte er fest. Sie können mich mal. In diesem Können, Mitleid und Lachen verging dann sein Leben.

Schruppen, schlichten, polieren
    Z uerst schruppen, dann schlichten, schließlich polieren, sagte zu Esti eine Eisen- und Metalldrehermeisterin namens Ágnes Gergely, denn Esti lernte gerade Eisen- und Metalldreher im, sagen wir so: Tanzgetümmel der osteuropäischen Geschichte. Ein humorloser Scherz dieser Geschichte. Damals hätte er nicht geglaubt, dass das sein Leben würde: Schruppen, Schlichten, Polieren. (Korrektur oder lapsus vitae: Als er sich mit der Drehermeisterin traf, las Esti ihr mit seiner üblichen stürmischen Dankbarkeit obigen Text vor, doch vor Aufregung las er statt Polieren immer Posieren, dieses Rindvieh. Dieses Rindvieh ist sein Leben.)

Schruppen
    N ichts tat so weh, wie es geschrieben zu sehen, sagte Kornél Esti. Dieses »nichts« ist sein Leben. Mein Schatten ist real.

Schlichten
    E r wechselte die Tinte, Super Quink, Parker, sie war blau, aber nicht blass. Er dachte, nun könne ihm nichts mehr passieren. Dieses »nichts« ist Kornél Estis Leben.

Polieren
    E sti platzte herein wie ein hannibal ante portas , er grinste wie ein Honigkuchenpferd, ich erinnere mich nicht mehr, worum es ging (in concreto woher er kam), eine Frau oder Philosophie (in concreto Gott), sein Gesicht strahlte, alles an ihm war entflammt, und während ihm Kellner Karcsi, gleichsam angesteckt von Estis wahllosem Enthusiasmus, aus dem Überzieher half, rief Esti aus: Ich kam, sah und verlor!
    Das! Dieser Sieg ist Kornél Estis schönes Leben. Und das Ende der Welt ist der Anfang der Welt. Das wollte ich dir sagen.

Über den Autor
    Péter Esterházy
    Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren, wo er auch heute lebt. Für Harmonia Cælestis (dt. 2001) erhielt er u.a. den Ungarischen Literaturpreis, 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Zuletzt erschien 2010 Ein Produktionsroman (Zwei Produktionsromane).