Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
selbstverständlichen Hinnahme häufiger Trennungen; sie setzen damit die Ehe mit einer Partnerschaft auf Zeit gleich und lassen die Familie oft wie eine Zweckgemeinschaft erscheinen. Wer von der Familie her zu verstehen versucht, wer wir sind und warum wir sind, wer wir sind, scheint einem rückständigen Menschenbild anzuhängen.
3. Schließlich verengte sich der Familienbegriff. In der soziologischen und der politischen Debatte geht es vor allem um die Kernfamilie, in der Eltern mit ihren nicht volljährigen Kindern zusammenleben und für sie Verantwortung übernehmen. Weitere Verwandte werden am ehesten dann der Familie zugerechnet, wenn sie mit Eltern und Kindern zusammen einen gemeinsamen Haushalt bilden. Wenn man Familie nur dort sieht, wo Kinder leben, trägt das auf der einen Seite der Vielfalt der Familienformen Rechnung: Nichteheliche Lebensgemeinschaften oder alleinerziehende Mütter (und auch Väter) mit ihren Kindern sind in dieses Familienverständnis einbezogen. Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern oder die Verantwortung für alt gewordene oder pflegebedürftige Angehörige tritt demgegenüber in den Hintergrund. Wenn man von einem derart verengten Familienbegriff ausgeht, lässt sich nicht sagen, dass sich an der Zugehörigkeit zu einer Familie wesentliche Aspekte des Menschseins erkennen lassen. Denn für diejenigen, die nie für das Heranwachsen von Kindern verantwortlich waren, trifft es nicht zu.
Jeder hat Familie
Doch zu den Gesichtspunkten, unter denen die Familie problematisiert wird, lassen sich auch Gegenargumente geltend machen. Ich gehe deshalb die gerade erörterten Themen noch ein zweites Mal durch.
1. Jeder Mensch ist ein Individuum, eine unteilbare Einheit; doch jeder Mensch lebt zugleich in Beziehungen und ist auf sie angewiesen. Eine individuelle Person zu sein bedeutet gerade nicht, eine isolierte Person zu sein. Gewiss ist das Individuum dadurch bestimmt, dass es zu sich selbst in Beziehung treten kann, aber für niemanden ist dies die einzige konstitutive Beziehung seines Lebens. Individualität und Sozialität des Menschen lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Eine einseitige Orientierung am Individuum und seinen Entfaltungsmöglichkeiten kann sich leicht mit einer biologistischen Vorstellung von der Durchsetzung des Stärkeren verbinden; sie mündet unversehens in ein Menschenbild, das ganz vorrangig von der Selbstbezogenheit des Individuums geprägt ist. Eine Orientierung am Vorrang der Gemeinschaft aber ist in hohem Maß dafür anfällig, Eingriffe in die Freiheit und in die aus ihr abgeleiteten Freiheitsrechte des Einzelnen mit den vermeintlichen Interessen der Gemeinschaft zu legitimieren. Will man diese beiden Einseitigkeiten vermeiden, so muss man auf der einen Seite den Gemeinschaftsbezug des menschlichen Lebens so verstehen, dass er die unantastbare Würde des Einzelnen und die sich aus ihr ergebenden Rechte nicht relativiert; auf der anderen Seite darf die Anerkennung der menschlichen Individualität die menschliche Person nicht zu einem isolierten, ausschließlich auf sich selbst bezogenen Individuum verkürzen.
2. Es ist nicht zu leugnen, dass der Begriff der Familie häufig mit einem konservativen Bild von Mensch und Gesellschaft verbunden wurde. An das Leitbild der Familie knüpften sich über lange Zeit Rollenzuweisungen: der nach außen tätige und nach innen bestimmende Mann, die im Innern wirkende, zum Dienen bereite Frau und die auf Fürsorge angewiesenen und zum Gehorsam verpflichteten Kinder. Doch die Familie hat sich im Lauf der Geschichte als außerordentlich wandlungsfähig erwiesen. Ursprünglich war sie vor allem eine Wirtschaftsgemeinschaft;schon Aristoteles entwickelt eine Ökonomie des «Hauses»
(oikos, oikia)
, in dem er die wichtigste wirtschaftliche Grundlage der
polis
sieht. Auch im Mittelalter gehören zur bäuerlichen Familie die Knechte und Mägde ebenso selbstverständlich wie die Lehrlinge und Gesellen zur Handwerkerfamilie. Zu einer wichtigen Aufwertung der intimen Liebesbeziehung innerhalb dieses Hauswesens kommt es mit der Reformation. Während die Kirche vorher eine Überordnung der ehelosen Lebensformen über Ehe und Familie vertrat, genießt der «geistliche» Stand nun keinen Vorrang mehr vor dem «weltlichen». Das evangelische Pfarrhaus fördert die neue Hochschätzung der Familie auf seine Weise, es stabilisiert freilich zugleich eine patriarchalische Familienstruktur. Gegen Ende des 18.
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