Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
der einzige, aber doch der grundlegende und beispielhafte Ort der menschlichen Sexualität. Der dreifache Sinn der Sexualität zeigt sich an diesem Ort besonders deutlich: Ausdruck und Vertiefung der Liebe zwischen zwei Menschen, Spüren der eigenen Lebenslust und Fortpflanzung (Kohler-Weiß 2008: 63). In heterosexuellen Beziehungen können alle drei Sinndimensionen der Sexualität verwirklicht werden, doch das bedeutet keineswegs, dass sie immer gleichzeitig präsent sind. Während die katholische Sexualmoral für jeden Sexualakt die Offenheit für die Weitergabe des Lebens postuliert, betont die evangelische Sexualethik, dass menschliche Sexualität auch ohne Bezug auf die Fortpflanzung sinnerfüllt ist. Deshalb stellt in evangelischer Perspektive die Einführung der Anti-Baby-Pille im Jahr 1960 keine umfassende Revolution der menschlichen Sexualität dar. Sie hat zwar die Methoden der Empfängnisverhütung revolutioniert, aber sie hat nicht, wie gelegentlich übertreibend gesagt wird, Sexualität und Fortpflanzung voneinander «entkoppelt». Sie hat die Erfahrung verstärkt, dass die sexuelle Vereinigung auch dann sinnerfüllt ist und Liebe und Lebenslust vertieft, wenn sie nicht auf die Weitergabe des Lebens ausgerichtet ist; und sie hat Familienplanung stärker als zuvor zu einer bewussten Entscheidung gemacht. Der Durchbruch der Reproduktionsmedizin zur Herstellung menschlicher Embryonen in der Petrischale im Jahr 1978 hat den Embryonenschutz auf eine grundsätzlich neue Weise zum Thema gemacht, denn nun geht es nicht nur um den Schutz des Embryos im Mutterleib
(in vivo)
, sondern ebenso in der Petrischale
(in vitro)
.
All diese gravierenden Veränderungen sind kein Grund dafür, die enge Verbindung zwischen Familie und Lebensglück in Zweifel zu ziehen. Das gilt auch für die veränderte ethische Beurteilung gleichgeschlechtlichersexueller Beziehungen. Die Verbindung zwischen Liebe und Lebenslust kann und soll auch gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen prägen. Wo diese Verbindung fehlt oder aufgelöst wird, werden Menschen füreinander zu bloßen Mitteln des Lustempfindens; eine solche Instrumentalisierung des Menschen ist im Blick auf heterosexuelle wie auf homosexuelle Beziehungen gleichermaßen abzulehnen. Wer dem entgegentreten will, muss gerade den Zusammenhang zwischen Sexualität und Glück wichtig nehmen. Auch dies ist ein Grund, das Thema Glück wieder in seiner ethischen Bedeutung zu würdigen.
Neben einer erfüllten Partnerschaft begründet die Geburt und das Aufwachsen von Kindern die Erfahrung, dass das Glück menschlichen Lebens eng mit der Familie verbunden ist. Der Wunsch nach Kindern, die Schwangerschaft und die Geburt selbst zeigen vielen Menschen am intensivsten, was Glück überhaupt ist – nämlich die Erfahrung, beschenkt zu sein und darauf mit Staunen und Dankbarkeit antworten zu können. Zum Leben mit Kindern gehören zugleich Verantwortung, Entbehrungen und Mühe. Doch wer mit Kindern lebt, wird bei allen Schwierigkeiten des täglichen Lebens immer wieder angesteckt von der Unbeschwertheit, der Neugier, oft auch der heilsamen Infragestellung durch Kinder. Offenheit für die Zukunft entsteht am leichtesten durch das Miteinander der Generationen.
2. Versorgung
Die Familie ist eine Versorgungsgemeinschaft. Die menschlichen Grundbedürfnisse haben ihren Ort vor allem anderen in der Familie: Nahrung und Kleidung, Wohnen und Schlafen, aber auch Liebe und Geborgenheit, Verbundenheit und Anerkennung finden Menschen in der Familie. Nicht ohne Grund hat das neuere deutsche Sozialrecht den Begriff der «Bedarfsgemeinschaft» entwickelt. Sie ist dadurch geprägt, dass die Bedürfnisse des täglichen Lebens gemeinsam befriedigt werden und die Glieder dieser Gemeinschaft, soweit sie dazu im Stande sind, füreinander Verantwortung tragen. Die Familie ist der Ort, an dem Heranwachsende so versorgt werden, dass sie Bildung und Ausbildung durchlaufen können; die berufstätigen Mitglieder der Familie finden hier die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft zu erhalten. Die Versorgungsfunktion der Familie ist deshalb von unmittelbarer gesellschaftlicher und somit auch institutionsethischer Bedeutung.
Dass Menschen füreinander sorgen, unterstreicht die lebenswichtige Bedeutung der Beziehungen, in denen sie leben. Entsprechend tief greift es in das menschliche Leben ein, wenn die Fähigkeit dazu fehlt oder sich verliert. Ein Mangel an elterlicher Fürsorge kann am Fehlen von Erfahrung, erlernter
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