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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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unser Leben ist. Ich philosophiere. Ich langweile dich doch nicht, Monika?«
    Sie gab keine Antwort. Sie hielt Ausschau nach einem geeigneten Büschel von Heidekraut, über das sie stolpern und vor der Wärme fliehen könnte, die er verströmte.
    »Monika?«
    »Ja   …?« Sie stolperte, aber gar zu gezwungen, zu künstlich; er hielt sie mühelos fest, ließ sie nicht los.
    »Ich denke die ganze Zeit an   … an dieses Gedicht, das du gelesen hast. An ›Under der linden‹ Walthers von der Vogelweide. In dieser Ballade liegt etwas Seltsames, etwas, das ich nicht erklären kann   … Monika, ich möchte dich um etwas bitten. Schlag es mir nicht ab, wenn es geht.«
    »Ich höre, Jacek.«
    »Lies mir das Gedicht Walthers von der Vogelweide vor. Bitte.«
    »Jetzt?«
    »Nein. Nicht jetzt. Nach dem Abendessen, wenn es still und ruhig ist, wenn die Dämmerung hereinbricht. Mir scheint, dass diese Poesie nur abends gut klingen kann, wenn es kühl ist und finster wie ein steinernes Raubritterschloss. Ich komme gleich nach dem Abendessen bei dir vorbei, und wir widmen uns ein wenig dem Minnesang, den Liedern der Troubadoure.«
    »Jacek, ich   …«
    »Schlag es mir nicht ab, bitte.«
    Monika blieb stehen, zog entschieden, aber nicht ruckartig den Arm unter seiner Achsel hervor.
    Sie schaute ihm geradezu in die Augen. Kühn, wenn auch nicht herausfordernd. Natürlich. Offen. Mutig.
    »Sag mir, was du von mir erwartest. Was du von mir willst, gerade von mir, wo es doch ringsum von Mädchen wimmelt, bunt und schön wie Kolibris, lustig, redselig, willig   – wenn nicht zu mehr, dann wenigstens zu einem spielerischen Flirt. Sie alle schauen dich an, und keiner wäre es unangenehm, mit dir im Wald spazieren gehen und deine Worte hören zu können. Jede von ihnen würde sich auf einen Abend freuen, den sie mit dir beim Lesen von Gedichten verbringt. Keine würde zittern, wie ich jetzt zittere. Also sag, offen und ehrlich   – warum gerade ich? Denn ich bin ja   …«
    Ich bin unansehnlich!
    Sie senkte den Blick, barg den Kopf in den Armen. Wie eine Schildkröte, dachte sie. Ich habe Angst.
    »Monika?«
    »Gut, Jacek.«
     
    Was tue ich, dachte sie, über das Buch gebeugt. Was tue ich nur. Ich hätte mich ja mit Kopfschmerzen herausreden können, gleich nach dem Abendessen verschwinden, spät zurückkommen, die Tür zuschließen und vorgeben,ich sei nicht da. Ich hätte irgendwas tun können. Und jetzt sitze ich hier mit ihm   …
    »Lies weiter, Monika. Bitte.«
     
    Ich kam gegangen
    zuo der ouwe:
    dô was mîn vriedel kommen ê.
    Dâ wart ich emphangen,
    hêre vrouwe,
    daz ich bin sælic iemer mê.
    Kuste er mich? wôl tûsentstunt:
    tandaradei,
    seht wie rôt mir ist der munt.
     
    »Du hast eine schöne Stimme, Monika.«
    Nein. Nein. Ich will das nicht, was schon einmal war. Ich ertrage es nicht, ich will die Erniedrigung nicht ertragen, die Trauer, die Leere, die Einsamkeit. Ich will niemandem Schuld geben oder die Schuld bei mir selbst suchen. Was schaut er mich so an? Er schaut, als wäre ich   …
    (Hübsch?)
    »Lies, Monika.«
     
    Dô het er gemachet
    alsô rîche
    von bluomen eine bettestat.
    Des wirt noch gelachet
    inneclîche,
    kumt iemen an daz selbe phat.
    Bî den rosen er wol mac,
    tandaradei,
    merken wâ mirz houbet lac.
     
    »Das ist wirklich ein schönes Lied, Monika. Man hört geradezu die Saiten der Laute eines Troubadours klingen. Hat jemand ›Under der linden‹ ins Polnische übersetzt?«
    »Ja. Leopold Staff.«
    »Ich frage gar nicht, ob du diese Übersetzung kennst. Ich weiß, du kennst sie. Sag sie bitte. Diese beiden letzten Strophen.«
    »Jacek   … Ich erinnere mich nicht   …«
    »Es sieht hübsch aus, wenn du rot wirst. Aber ich weiß, dass du dich erinnerst. Bitte, Monika.«
     
    Ich kam gegangen
    Hin zur Aue
    Mein Trauter harrte schon am Ort
    Wie ward ich empfangen
    O Himmelsfraue!
    Dass ich bin selig immerfort
    Ob er mich küsste? Wohl manche Stund.
    Tandaradei!
    Seht, wie ist so rot mein Mund.
     
    Da tät er machen
    Uns ein Bette
    Aus Blumen mannigfalt und bunt
    Darob wird lachen
    Wer an der Stätte
    Vorüberkommt, aus Herzensgrund
    An den Rosen er wohl mag
    Tandaradei!
    Sehen, wo das Haupt mir lag   …
     
    »Es ist schön, Monika. Nur, entschuldige, dass man diese Strophe nicht mit hängendem Kopf und solcher Grabesstimme deklamieren darf. Du weißt selbst, dass Walthervon der Vogelweide in diesem Lied den sinnlosen Kanon vom Minnesang und der ritterlichen Minne verwirft,

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