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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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auf ihren Knien lag.
    Monika ließ die Hände sinken, trat einen Schritt vor. Der Kater fauchte. Sie schaute nach unten, auf die weiße Linie, die auf den Fußboden gemalt war und die man nicht überschreiten konnte. Die Frau Doktor hob den Kopf.
    »Eine Vergessene«, sagte sie leise. »Du bist eine Vergessene. An Rückkehr darfst du nicht einmal denken, es gibt keine Rückkehr für eine wie dich. Du bist eine Vergessene, es wird für dich besser sein, wenn du es auch bleibst. Für alle wird es besser sein.«
    Sie schüttelte verneinend den Kopf, fuhr sich mit den Händen über den Hals, dann weiter hinab.
    »Nein«, sagte die Frau Doktor scharf. »Daran darfst du nicht einmal denken. Solch ein Gedanke wird dichnicht erwecken. Doch er kann jemand anderen wecken. Den, der Wahrheit und Betrug ist. Du wirst ihn, den ewig Hageren, mit deinen Träumen füttern. Ihn mit deinem Gesang wecken. Hüte dich. Er kommt in Träumen, an die du dich nicht erinnerst. Er aber vergisst nicht. Hüte dich.«
    Gegen die Fensterscheibe schlug ein Nachtfalter, groß, grau, zitternd.
    »Hüte dich, Vergessene. Wahrheit und Betrug unterscheiden sich nicht, sie sind eins. Beide werden gleichzeitig auf deinen Ruf hin kommen. Und dann streckt sich aus der Finsternis eine Hand nach dir aus. Wenn du diese Hand berührst, gibt es kein Zurück. Es wird das Brennende Kind auferstehen, die Glut wird auferstehen, die vom Hass brennt. Abermals wird der Schwarze Trug auferstehen, der Zernebock, auf einem Altar von Blumen.«
    Die Frau Doktor verstummte, senkte den Kopf, streckte die Hände aus.
    »Hüte dich vor der Hand, die sich aus der Finsternis streckt. Wenn du sie berührst, gibt es kein Zurück.
Va sivros onocheï!
Wenn du als Nachtfalter zurückkehrst, wirst du entflammen. Wenn du als Flamme zurückkehrst, wirst du verlöschen. Wenn du als Klinge zurückkehrst, wirst du vom Rost zerfressen. Geh.«
    Sie spürte, wie ihr eine Träne über die Wange rann, lästig, aufdringlich. Ungewollt.
    »Geh.«
    Die Frage?
    »Nein. Ich werde nicht antworten.«
    Plötzliches Aufflammen, ein Ausbruch von Kraft   …
    »Nein!« In den hellen Augen Entsetzen. »Nein   …«
    Die Frage.
    »Gut. Gut, Vergessene. Wenn du es so sehr willst   …«
    Ich will.
    »Die Antwort lautet: Ja. Wirst du. Aber nur in den Augen der anderen. Und jetzt geh. Lass mich allein. Geh.«
     
    Monika erwachte, setzte sich im Bett auf, schaute zum Fenster, in die Dunkelheit, die sich mit der Verheißung des neuen Tages blau einfärbte. Elka, genannt das Schneehuhn, schnarchte leicht; sie lag auf dem Rücken, den gekrümmten Arm um das Kopfkissen geschlungen.
    Monika berührte das Buch, das in der Bettdecke vergraben lag und ihr mit der harten Kante des Einbands in den Schenkel stach. Ich bin beim Lesen eingeschlafen, dachte sie.
    Und ich hatte einen   … seltsamen Traum.
    Doch sie erinnerte sich nicht daran.
     
    »Ich habe den Eindruck, dass du mir aus dem Weg gehst, Monika.«
    Ja, das tue ich, dachte sie mutig, ohne sich entscheiden zu können, in welche Richtung sie blicken sollte. Nach kurzem Zögern siegten wie gewohnt die Spitzen der Turnschuhe.
    »Wieso denn«, murmelte sie. »Überhaupt nicht.«
    »Darf ich dir Gesellschaft leisten?«
    Sie nickte, besorgt, nur ja nicht zu viel Eifer in dieses Nicken zu legen.
    Sie gingen langsam das Spalier von weißstämmigen Birken entlang, einen Waldweg zwischen dunkelgrünen Büscheln von Heidekraut, die den Pfad wie ein Zaun säumten, mancherorts auswucherten und ihn versperrten.
    Natürlich stolperte sie, darauf brauchte sie nicht lange zu warten. Er stützte sie, hakte sie unter, und die Berührung seiner Schulter durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag. Ein angenehmer Schlag.
    »Der Sommer geht zu Ende«, brach er mit einer trivialen Feststellung das Schweigen. »Der Urlaub geht zu Ende.«
    »Mhm.«
    »Ich werde zurückfahren müssen. In die Stadt. Zu den Büchern, zu meiner Promotion. Schade.«
    »Nächstes Jahr kommt wieder ein Urlaub«, presste sie hervor und überlegte, wie sie ihren Arm unter seiner Achsel herausbekommen könnte, ohne dass es schroff, aggressiv und unhöflich wirkte.
    »Stimmt«, sagte er mit einem hübschen Lächeln und drückte ihren Arm stärker an sich. »Aber dass der Sommer zu Ende geht, macht mich traurig. Ich mag keine Enden. Das Ende ist der Schluss der Geschichte. Mir aber gefallen an der Geschichte die Episoden. Schöne Episoden, die eine trübsinnige Geschichte retten, das langweilige Szenario, das

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