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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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durchfurcht, ernst und konzentriert. Sie hatte große, ungewöhnlich helle Augen, so hell, dass sie fast durchsichtig waren wie Linsen, wie Opale, zu Cabochons geschliffen.
    »Entschuldigen Sie«, stieß Monika hervor. »Die Tür stand offen. Ich weiß, dass ich nicht   …«
    Sie nahm die Hände auf den Rücken und begann, sich die Finger zu kneten. Wie üblich.
    »Macht nichts«, sagte die Alte und trat an den Tisch. Sie schloss das Buch, nachdem sie einen flüchtigen Blick auf die offene Seite geworfen hatte.
    »Dieses Haus steht allen offen, die eintreten wollen«, sagte sie. »Ich höre, Kind.«
    »Ich   … Ich bin ganz zufällig hier. Ich bin vorbeigekommen und   … Ich gehöre zu denen, die am Fluss sind   … Sie haben sicherlich die Autos gesehen   …«
    »Du gehörst ganz und gar nicht zu denen, die am
Fluss
sind.« Die Alte nickte. »Solltest du aber. Du solltest bei ihnen sein, aber stattdessen bist du hier. Warum?«
    Monika verstummte, den Mund halb offen.
    »Du hast in dem Buch die Antwort auf eine Frage gesucht? Das ist nicht die allerbeste Methode, Kind. Vor allem würde ich nicht raten, die Bücher zu verwenden, die hier liegen.«
    »Ich bitte nochmals um Entschuldigung. Ich sollte nicht   … Ich gehe schon.«
    »Ohne deine Frage gestellt zu haben?«
    »Welche Frage?«
    »Also das, liebes Kind, das weiß ich nicht.« Die hellen Augen der Alten wurden noch heller. »Ich kann doch die Fragen nicht kennen. Ich kenne nur die Antworten, und längst nicht alle.«
    »Ich   … verstehe nicht. Ich gehe jetzt.«
    »Wie du willst. Wenn du zurückkommen und deine Frage stellen willst, denk dran, dass das Haus der alten Frau Doktor immer offen ist.«
    Himmel, dachte Monika. Ich bin auf eine Kräuterhexe gestoßen. Auf eine Engelmacherin. Sie denkt, dass ich   …
    »Seltsame Gedanken schwirren dir im Kopf herum, Kind«, sagte die Alte scharf. »Verrückte, seltsame, unangemessene Gedanken. Du gefällst mir nicht. Komm her.«
    Nein, dachte Monika, ich gehe nicht hin. Und sie machte einen Schritt nach vorn. Dann den zweiten. Und den dritten.
    »Näher.«
    Nein!
    Noch einen Schritt. Gegen ihren Willen.
    »Rede.«
    Monika bewegte lautlos die Lippen. Augen, helle Augen, fast durchsichtig   …
    »Eine Vergessene«, murmelte die Alte.
    Ein stammelnder Chor, einzelne unverständliche, entsetzliche Wörter, in rhythmischem Singsang hervorgestoßen   …
    »Nein«, sagte die Alte plötzlich. »Komm nicht näher. Keinen Schritt weiter.«
    Monika erbebte unter der Kälte, die ihr plötzlich als Welle über Genick und Rücken lief.
    »Eine Vergessene«, wiederholte die Frau Doktor und kniff die hellen Augen zusammen. »Ja, kein Zweifel. Euch zieht der
Fluss
an, dieser Hügel zieht euch an. Diese Bücher ziehen euch an, ziehen euch an wie ein Magnet.«
    Der Kater, der flach auf dem Kopfkissen lag, fauchte, hob den Kopf.
    »Geh«, wiederholte die Frau Doktor. »Geh zurück zu denen. Sie warten auf dich. Du gehörst zu ihnen. Du gehörst schon zu ihrer Welt, ob du willst oder nicht.«
    Monika zitterte.
    »Nun geh schon.«
     
    Die Kopfschmerzen, die sie nachmittags überfielen, kurz nach der Rückkehr von dem Ausflug, dauerten an und wurden stärker, dass ihr schwarz vor Augen wurde, bis zum Abend. Sie vergingen nach zwei Gardan-Tabletten nicht, ließen auch nach zwei Pyralgin nicht nach. Die Schmerzen warfen sie um, ließen sie mit dem Gesicht am Kopfkissen kleben. Während sie dem dumpfen Pochen in den Schläfen lauschte, wartete Monika Szreder auf den Schlaf.
     
    Sie stand reglos zwischen den krummen Apfelbäumen, inmitten eines wahnsinnigen Mahlstroms von grauen, lautlosen Vögeln, im Zentrum der Stille, die unter den lautlosen Schlägen der schmalen, spitzen Flügel wirbelte, unter tausend einherjagenden, grauen Halbmonden, von denen ein jeder auf sie zuzuschießen schien, aber im letzten Augenblick die Richtung änderte, sie streifte, aber nicht traf, nicht verletzte.
    Eine Kerze, umgeben von einer gespenstischen Aureole wie durch Tränen hindurch gesehen, erhellte einen Raum voller dunkler Möbel. Die Augen, die sie betrachteten, waren hell, fast durchsichtig, wie Linsen, wie Opal-Cabochons.
    »Stell deine Frage. Ich habe dich gerufen, damit du deine Frage stellst.«
    Sie nickte zustimmend. Langsam hob sie die Hände, berührte damit die Haare, strich sie von den Schultern, fuhr sich mit den Fingern über Stirn, Wangen, Mund. Die Frau Doktor schaute sie nicht an. Sie blickte nicht von dem Buch auf, das

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