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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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lauter haben«   – der begabte Elektrotechniker lachte abermals   – »und jetzt hast du’s lauter. Sollen alle zuhören. Keine Angst, Jarek. Wer wird schon darauf verfallen, dass das aus unserem Trichter kommt? Hör lieber zu, was der Typ sagt.«
    Ich hörte zu.
    »Ich hatte einen Traum!«, rief Marcin Kenig plötzlich, und die vor der Fabrik von International Harvester versammelte Menge brüllte und tobte. »Ich hatte einen Traum!«
    Die Schießerei war abgeflaut, nur noch ein paar einzelneSchüsse erklangen, irgendwo krachte eine Werfergranate, ein Hubschrauber ratterte vor sich hin. Und dann war alles still. Die ganze Stadt. Da war nur noch Marcin Kenig mit der Menschenmenge vor dem International Harvester.
    »Ich hatte einen Traum, und in diesem Traum kam der Tag, der Tag der Wahrheit! Der Tag, an dem es eine offensichtliche und jedem verständliche Wahrheit wurde, dass wir Brüder sind, dass wir einander gleich sind! Der Tag, an dem wir begriffen haben, dass es keine Grenzen gibt, dass Grenzen nichts anderes sind als Linien auf Karten aus Papier ohne jede Bedeutung! Der Tag, an dem wir aus unseren Seelen das Gift des Hasses ausgetrieben haben, mit dem wir seit Generationen gefüttert wurden! Dieser Tag wird kommen, Brüder!«
    Die Menge schrie, tobte, toste. Jemand klatschte. Jemand sang »We shall overcome«. Jemand skandierte: »Juden raus!« Jemand pfiff.
    »Ich hatte einen Traum, und in meinem Traum wurde diese Welt endlich zum Reich Gottes auf Erden! Ich hatte einen Traum, und ich sage euch wahrlich, Brüder, es war ein prophetischer Traum! In meinem Traum streckten die Menschen aller Rassen, Religionen, Überzeugungen, Hautfarben und Nationalitäten einander die Hände entgegen und drückten sie! Sie wurden Brüder!«
    Über dem Park stieg noch immer Rauch auf, doch der Rauch schien sich zu lichten, als ob ihn die vom Echo vervielfachte Stimme Marcin Kenigs vertriebe, die aus den Lautsprechern eines Stadions dröhnte, dessen Name keine Bedeutung hatte, hin über einen Park mit einem bedeutungslosen Namen. Über der Stadt mit dem nichts bedeutenden Namen erglänzte plötzlich die Sonne. So kam es mir vor. Aber ich kann mich getäuscht haben.
    »Ich hatte einen Traum!«, rief Marcin Kenig.
    »Ich hatte einen Traum!«, antwortete die Menge. Nicht die ganze. Jemand pfiff durchdringend.
    »Verschwinde!«, schrie jemand. »Verschwinde nach Kuba!«
    »Ich sage euch«, rief Marcin Kenig, »dass das Zeitalter der Freiheit, des Glücks und Wohlstands für alle angebrochen ist. Sie heißen uns zu arbeiten, zu essen, zu schlafen und auszuscheiden, das Goldene Kalb anzubeten, während sie uns die Ohren mit Musik zukleistern! Sie haben uns mit einem Netz von Geboten, Verboten und Anordnungen umsponnen, die in uns Gewissen, Vernunft und Liebe ersticken sollen! Sie verlangen, dass wir zum Vieh werden, das sich mit der umzäunten Weide zufriedengibt, zum Vieh, das mit dem uns gefangen haltenden Elektrozaun sogar zufrieden ist! Sie heißen uns morden und sagen: ›
Deus vult
.‹ Sie haben uns mit Grenzen umstellt, die durch unsere Städte verlaufen, durch unsere Straßen und Häuser! Doch wir haben genug! Wir sagen: ›Nein!‹ Denn ich hatte einen Traum! Einen Traum davon, dass das Zeitalter des Hasses ins Vergessen sinkt! Dass ein neues Zeitalter anbricht, das Zeitalter der Erfüllten Träume!«
    Die Menge schrie.
    »Ich hatte einen Traum! Ich hatte   …«
    Und plötzlich verstummte Marcin Kenig, und aus den Lautsprechern drang ein einziger entsetzter Aufschrei der Menge, etwas knallte, jemand direkt am Mikrofon rief: »Jesus Maria!«, und ein anderer schrie: »Einen Aaaarzt!«
    Wieder krachte etwas, knirschte aus den Lautsprechern.
    »Von dort wird geschossen, von dort   … vom Dach   …«, rief jemand mit bebender, sich überschlagender Stimme.
    Und dann war Stille.
    Es war Stille in Truthahns Radio und Stille im König-Sobieski-Park. Ich vermute, sogar auf dem Platz vor der Fabrik von International Harvester in Ursus war es still.
    Nach einer Weile begann Truthahns Radio zu spielen, und zwar Klaviermusik. Eine Zeitlang erklang das Nocturno aus den Stadionlautsprechern des Ostmark Sportvereins, aber gleich darauf riss Truthahn seine sinnreiche Verbindung auseinander, und nur noch sein mikroskopischer Empfänger spielte leise.
    Analyse weinte nicht. Sie saß da, den Kopf gesenkt, ganz wortlos, dann schaute sie mich an. Sie schaute lange; ich wusste, dass sie etwas fragen wollte. Truthahn schwieg ebenfalls

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