Etwas Endet, Etwas Beginnt
hältst du mich? Die Inversion wird wirken, wenn …«
»Wenn du uns nicht betrogen hast«, warf Korin mit vor Zorn tonloser Stimme ein. »Und wenn du es getan hast … Du sagst, du hast gesehen, was dein Ungeheuer vermag. Aber weißt du, was ich vermag? Ich kenne einen Hieb, nach dem der Getroffene noch ein Ohr hat, eine Wange und den halben Kiefer. Man kann es überleben, aber man kann danach, sagen wir, nicht mehr Flöte spielen.«
»Visenna, beruhige diesen Mörder«, stotterte Fregenal, blass geworden. »Erkläre ihm, dass ich dich nicht belügen konnte, dass du es gespürt hättest …«
»Red nicht so viel, Fregenal. Führe uns.«
Ein Stück weiter erblickten sie die nächsten Wagen. Und die nächsten Skelette. Durcheinandergeworfene, verflochtene, weiß im Gras glänzende Brustkästen, aus den Trümmern ragende Schienbeine, gespenstisch grinsende Schädel. Korin schwieg, die schwitzende Hand um den Schwertgriff geklammert.
»Seht euch vor«, keuchte Fregenal. »Wir sind nahe. Geht leise.«
»Aus welcher Entfernung reagiert er? Fregenal, ich rede mit dir.«
»Ich werde dir ein Zeichen geben.«
Sie gingen weiter, ließen die Blicke über die Wände der Schlucht schweifen, die steil waren, von kriechenden, verkrüppelten Sträuchern bewachsen, gestreift von Klüften und Felsbrüchen.
»Visenna? Spürst du ihn schon?«
»Ja. Aber undeutlich. Wie weit ist es, Fregenal?«
»Ich werde dir ein Zeichen geben. Schade, dass ich dir nicht helfen kann. Ohne Stab und Ring kann ich nichts tun. Ich bin machtlos. Höchstens …«
»Höchstens was?«
»Das!«
Mit einer Geschwindigkeit, die man ihm kaum zugetraut hätte, klaubte der Dicke einen kantigen Felsbrocken auf und schlug ihn Visenna an den Hinterkopf. Die Druidin fiel ohne einen Seufzer mit dem Gesicht nach unten. Korin holte mit dem gezogenen Schwert aus, doch der Zauberer war unglaublich gewandt. Er ließ sich auf alle viere fallen, um der Klinge zu entgehen, rollte ihm vor die Füße und hieb ihm den Stein, den er nicht losgelassen hatte, gegens Knie. Korin heulte auf, stürzte hin; der Schmerz nahm ihm für einen Augenblick den Atem, und dann strömte eine Woge von Übelkeit aus den Eingeweiden zur Kehle. Fregenal sprang auf wie eine Katze, holte zu einem neuerlichen Schlag aus.
Der buntgefiederte Vogel fiel von oben herab wie ein Geschoss, fuhr über das Gesicht des Zauberers. Fregenal sprang zurück, fuchtelte mit den Händen, ließ den Stein fallen. Korin, auf den Ellenbogen gestützt, schlug mit dem Schwert zu, verfehlte den Dicken nur um Haaresbreite; der aber wandte sich um und rannte zurück in Richtung Mäuseklamm, schrie und lachte. Korin versuchte, aufzustehen und ihn einzuholen, doch von dem Versuch wurde ihm schwarz vor Augen. Er stürzte wiederhin und schickte dem Zauberer einen Schwall widerwärtiger Flüche nach.
Fregenal blickte aus sicherer Entfernung zurück, blieb stehen. »Du missratene Hexe!«, brüllte er. »Du rothaariges Stück Dreck! Du wolltest Fregenal überlisten? Mir gnädig das Leben schenken? Du hast gedacht, ich schaue ruhig zu, wie du ihn umbringst?«
Korin, noch immer am Boden, massierte sein Knie, um den pulsierenden Schmerz zu beruhigen. Visenna lag reglos da.
»Er kommt!«, schrie Fregenal. »Schaut! Erfreut euch an diesem Anblick, denn jeden Moment wird euch mein Knoch die Augen aus den Schädeln blasen! Er kommt schon!«
Korin schaute sich um. Hinter einem Gewirr von Felsbrocken hervor, gut hundert Schritt entfernt, ragten die klobigen Gelenke gekrümmter Spinnenbeine hervor. Gleich darauf schob sich über den Steinhaufen polternd ein Körper von mindestens sechs Meter Durchmesser, platt wie ein Teller, erdig-rostfarben, rau, von stachligen Auswüchsen bedeckt. Drei Paar Beine schritten gleichmäßig voran, trugen den tellerförmigen Körper durch das Geröll. Das vierte, vordere Paar von Gliedmaßen, überproportional lang, war mit mächtigen Krebsscheren bewaffnet, die Reihen von spitzen Stacheln und Hörnern trugen.
Das ist ein Traum, ging es Korin durch den Kopf. Ein Albtraum. Aufwachen. Schreien und aufwachen. Schreien. Schreien. Schreien.
Er vergaß das schmerzende Knie und sprang zu Visenna, zerrte an ihrer schlaffen Schulter. Die Haare der Druidin waren durchtränkt von Blut, das schon den Nacken herabrann.
»Visenna …«, presste er durch die angstgelähmte Kehle hervor. »Visenna …«
Fregenal brach in irres Gelächter aus, das als Echo von den Wänden der Schlucht
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