Etwas Endet, Etwas Beginnt
der Panzer platzte, eine stinkende grüne Flüssigkeit sprudelte hervor. Der Knoch zischte abermals, ließ den Murmelmenschen los, hob die Zangen. Korin stemmte sich mit den Füßen in den Boden, zerrte am Schwertgriff – vergebens.
»Niklas!«, rief er. »Zurück!«
Beide wandten sich zur Flucht, klugerweise in verschiedene Richtungen. Der Knoch zögerte, schurrte mit dem Bauch über den Fels und lief rasch direkt auf Visenna zu, die mit hängendem Kopf versuchte, sich auf alle viere zu erheben. Dicht über ihr schwebte in der Luft der buntgefiederte Vogel, schlug mit den Flügeln und schrie, schrie, schrie …
Der Knoch war nahe.
Beide, Niklas und Korin, sprangen gleichzeitig herzu, stellten sich dem Ungeheuer in den Weg.
»Visenna!«
»Herrin!«
Ohne stehenzubleiben breitete der Knoch die Scheren aus.
»Zur Seite!«, rief Visenna auf den Knien und hob die Hände. »Korin! Zur Seite!«
Beide sprangen fort, zu den Wänden der Schlucht.
»Henenaa fireaaoth kerelanth!«, schrie die Zauberin durchdringend und reckte dem Knoch die Arme entgegen. Niklas nahm wahr, wie sich etwas Unsichtbares von ihr auf das Ungeheuer zubewegte. Das Gras wurde zu Boden gedrückt, und kleine Steine wurden beiseite geschleudert wie unter dem Gewicht einer riesigen Kugel, die mit wachsender Geschwindigkeit einherrollte. Aus Visennas Handflächen schoss ein blendend heller, im Zickzack verlaufender Lichtstreifen, traf auf den Knoch, breitete sich als Netz von Flammenzungen auf dem Panzer aus. Die Luft riss mit einem ohrenbetäubenden Knall. Der Knoch explodierte, zerbarst zu einer grünen Fontäne von Körperflüssigkeit, zu einer Wolke von Chitin, von Beinen, Eingeweiden; das alles schoss empor, hagelte ringsum herab, prasselte auf die Felsen, raschelte im Gebüsch. Niklas ließ sich auf ein Knie sinken, hielt sich beide Hände über den Kopf.
Es war still. Wo eben noch das Ungeheuer gestanden hatte, breitete sich schwarz und rauchend ein runder Krater aus, von grüner Flüssigkeit bespritzt, von widerwärtigen, schwer zu erkennenden kleinen Bruchstücken übersät.
Korin wischte sich die grünen Flecken vom Gesicht und half Visenna beim Aufstehen. Visenna zitterte.
Niklas beugte sich über Kehl. Die Augen des Murmelmenschen waren offen. Das dicke Wams aus Pferdeleder war in Streifen gerissen, unter denen man sah, was von Schulter und Flanke übriggeblieben war. Der Schmied wollte etwas sagen, vermochte es aber nicht. Korin kam herzu, der Visenna stützte. Der Murmelmensch wandte den Kopf zu ihnen hin. Korin betrachtete seine Schulter und schluckte mühsam.
»Du bist das, Prinz«, sagte Kehl leise, aber ruhig. »Du hattest recht … Ohne Waffen bin ich Dreck. Und ohne Arm? Wohl Scheiße, was?«
Die Ruhe des Murmelmenschen entsetzte Korin mehr als der Anblick der zerschmetterten Knochen, die aus den ungeheuerlichen Wunden ragten. Dass das Geschöpf überhaupt noch lebte, war unvorstellbar.
»Visenna«, flüsterte Korin und schaute die Zauberin bittend an.
»Ich kann nichts tun, Korin«, sagte Visenna mit brechender Stimme. »Sein Metabolismus ist ganz anders als bei einem Menschen … Niklas … Fass ihn nicht an …«
»Du bist zurückgekommen, Murmelmensch«, flüsterte Niklas. »Warum?«
»Weil mein Metabolismus ganz anders ist … als bei einem Menschen«, sagte Kehl mit Stolz in der Stimme, wenn auch schon mit sichtlicher Mühe. Ein Rinnsal von Blut floss aus seinem Mund und befleckte den aschfarbenen Pelz. Er wandte den Kopf, schaute Visenna in die Augen.
»Na, rothaarige Hexe! Deine Prophezeiung war richtig, aber erfüllen musst du sie selbst.«
»Nein!«, stöhnte Visenna.
»Ja«, sagte Kehl. »Du musst. Hilf mir! Es ist Zeit.«
»Visenna«, seufzte Korin mit Entsetzen in der Stimme. »Du willst doch nicht etwa …«
»Geht weg!«, schrie die Druidin und unterdrückte ein Schluchzen. »Geht beide weg!«
Niklas wandte den Blick ab und zog Korin am Arm. Korin folgte ihm. Er sah noch, wie Visenna sich bei dem Murmelmenschen hinkniete, wie sie sanft über seine Stirn strich, die Schläfen berührte. Kehl zuckte, begann zu zittern, spannte sich an und erstarrte reglos.
Visenna weinte.
IX
Der buntgefiederte Vogel, der auf Visennas Schulter saß, neigte das schmale Köpfchen, fixierte die Zauberin mit einem runden, reglosen Auge. Das Pferd trottete über die löchrige Landstraße, der Himmel war kobaltblau und klar.
»Tuuit tuiit trk«, sagte Buntgefiederter Vogel.
»Kann sein«, stimmte
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