Etwas Endet, Etwas Beginnt
Visenna zu. »Aber darum geht es nicht. Du hast mich nicht verstanden. Ich mache niemandem Vorwürfe. Es betrübt mich, dass ich von der ganzen Sache erst von Fregenal erfahren habe und nicht von dir, das schon. Aber ich kenne dich ja schon seit Jahren, ich weiß, dass du nicht gesprächig bist. Ich denke, wenn ich dich geradeheraus gefragt hätte, hättest du geantwortet.«
»Trk, tuuuit?«
»Klar. Schon seit langem. Aber du weißt selbst, wie es bei uns ist. Ein einziges großes Geheimnis, alles ist geheim. Und im Übrigen ist es nur eine Frage des Maßstabs. Ich lehne es auch nicht ab, mich für eine Heilung bezahlen zu lassen, wenn mir jemand das Geld aufdrängt und ich weiß, dass er es sich leisten kann. Ich weiß, dass der Kreis für bestimmte Arten von Diensten hohe Preise fordert.Und das zu Recht, alles wird teurer, und man muss sehen, wo man bleibt. Nicht darum geht es.«
»Twwiiit.« Der Vogel trat von einem Füßchen aufs andere. »Korriiin.«
»Bist ein schlaues Kerlchen.« Visenna lächelte säuerlich, neigte den Kopf zu dem Vogel hin, so dass er mit seinem Schnäbelchen leicht ihre Wange berühren konnte. »Das ist es, was mir Kummer macht. Ich habe gesehen, wie er mich angeschaut hat. Nicht nur eine Hexe, hat er sicherlich gedacht, sondern auch noch eine Schwindlerin, raffgierig und berechnend.«
»Tuwiit trk trk trk tuuuiiit?«
Visenna wandte den Kopf. »Na, so schlimm ist es wieder nicht«, murmelte sie und blinzelte. »Ich bin, wie du weißt, kein kleines Mädchen, ich verliere nicht so leicht den Kopf. Obwohl ich gestehen muss … Zu lange treibe ich mich allein auf … Aber das geht dich nichts an. Hüte deinen Schnabel.«
Der Vogel schwieg, sträubte das Gefieder. Sie kamen dem Wald immer näher; man sah, wie die Straße unter dem Portal der Baumkronen im Dickicht verschwand.
»Hör mal«, ließ sich Visenna nach einer Weile vernehmen. »Was meinst du, wie kann das in Zukunft aussehen? Ist es wirklich möglich, dass die Menschen uns nicht mehr brauchen? Wenigstens bei der einfachsten Angelegenheit, bei Fragen der Heilung? Ein paar Fortschritte sind da zu sehen, nehmen wir zum Beispiel die Kräuterkunde, aber kann man sich vorstellen, dass man eines Tages, sagen wir, mit dem Keuchhusten fertig wird? Mit Kindbettfieber? Mit Wundstarrkrampf?«
»Twiik twiiit.«
»Auch eine Antwort. Theoretisch kann es auch sein, dass sich jeden Moment unser Pferd in das Gespräch einschaltet. Und etwas Kluges sagt. Und was meinst duzum Krebs? Werden sie auch mit dem Krebs fertig? Ohne Magie?«
»Trrk!«
»Das denke ich auch.«
Sie kamen in den Wald, der nach Kühle und Feuchtigkeit roch. Sie überquerten einen seichten Bach. Visenna ritt auf eine Anhöhe, dann wieder hinab, inmitten von Heidekraut, das bis zu den Steigbügeln reichte. Sie fand den Weg wieder, der sandig war, zugewachsen. Sie kannte diesen Weg, sie war erst vor drei Tagen hier entlanggeritten. Nur in die entgegengesetzte Richtung.
»Mir scheint«, sprach sie wieder, »dass uns ein bisschen Veränderung aber ganz guttun würde. Wir verknöchern, klammern uns zu stark und zu unkritisch an die Tradition. Wenn ich zurückkehre …«
»Twiit«, unterbrach sie Buntgefiederter Vogel.
»Was?«
»Twiit.«
»Was willst du damit sagen? Warum nicht?«
»Trrrrk.«
»Was für eine Aufschrift? An welchem Pfahl denn nun wieder?«
Der Vogel stieg mit schwirrenden Flügelchen von ihrer Schulter auf, flog fort, verschwand im Laub.
Korin saß da, mit dem Rücken an den Pfosten am Kreuzweg gelehnt, und betrachtete sie mit einem dreisten Lächeln. Visenna sprang aus dem Sattel, ging näher. Sie spürte, wie sie gegen ihren Willen ebenfalls lächelte, mehr noch, sie argwöhnte, dass ihr Lächeln nicht besonders klug aussah.
»Visenna«, rief Korin. »Gib zu, benebelst du mich womöglich mit Zauberei? Ich empfinde nämlich eine riesige Freude bei dieser Begegnung, eine geradezu unnatürliche Freude. Unberufen, toi-toi-toi. Das muss Zauberei sein.«
»Du hast auf mich gewartet.«
»Du bist unheimlich scharfsinnig. Siehst du, am Morgen bin ich aufgewacht und habe gemerkt, dass du fortgeritten warst. Wie lieb von ihr, dachte ich mir, dass sie mich wegen so eines dummen, nichtssagenden Abschieds nicht geweckt hat, ohne den geht es schließlich auch. Wer begrüßt oder verabschiedet sich denn heutzutage noch, das ist doch weiter nichts als ein Vorurteil und eine Schrulle. Nicht wahr? Ich habe mich auf die andere Seite gedreht und
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