Eugénie Grandet (German Edition)
seit ich diese furchtbare Arbeit unternommen habe. Ich habe eins für mich gehabt und danke Gott dafür: die größten Talente unserer Zeit, die schönsten Charaktere und aufrichtige Freunde, die im Privatleben so groß sind wie jene im öffentlichen Leben, haben mir die Hand gedrückt und zu mir gesprochen: »Mut!« Und weshalb sollte ich es nicht eingestehen, daß diese Freundschaften und die hie und da von Unbekannten erhaltenen Ermutigungen mir in meiner Laufbahn geholfen haben, und zwar sowohl gegen mich selbst wie gegen ungerechte Angriffe, gegen die Verleumdung, die mich so oft verfolgte, gegen die Entmutigung und gegen jene allzu lebhafte Hoffnung, deren Worte für die einer übertriebenen Eitelkeit gelten? Ich hatte beschlossen, Angriffen und Schmähungen stoische Unerschütterlichkeit entgegenzusetzen; aber in zwei Fällen machten feige Verleumdungen die Verteidigung notwendig. Wenn jene, die da verlangen, daß man Beleidigungen verzeiht, bedauern müssen, daß ich mein Geschick in der literarischen Fechtkunst zeigte, so sind doch auch manche Christen der Meinung, daß wir in einer Zeit leben, in der man beweisen sollte, daß das Schweigen auch der Großmut entspringen kann.
Bei dieser Gelegenheit muß ich darauf aufmerksam machen, daß ich mich nur zu solchen Werken bekenne, die meinen Namen tragen. Außer der ›Menschlichen Komödie‹ sind von mir nur die ›Tolldreisten Geschichten‹, zwei Theaterstücke und vereinzelte Artikel vorhanden, die übrigens meine Unterschrift tragen. Ich mache hier Gebrauch von einem unbestreitbaren Recht. Aber die Ableugnung wird mir, selbst wenn sie Werke treffen sollte, an denen ich mitgearbeitet habe, weniger durch die Eitelkeit als die Wahrheit auferlegt. Wenn man mir weiterhin Bücher zuschreiben sollte, die ich, literarisch gesprochen, nicht als die meinen anerkenne, aber deren Eigentumsrechte mir anvertraut wurden, so würde ich hinfort nicht mehr widersprechen, und zwar aus demselben Grunde, aus dem ich den Verleumdern das Feld einräume.
Die Unermeßlichkeit eines Planes, der zugleich die Geschichte und die Kritik der Gesellschaft, die Analyse ihrer Übel und die Erörterung ihrer Prinzipien umfaßt, berechtigt mich, so scheint es mir, meinem Werk den Titel zu geben, unter dem es heute erscheint: ›Die Menschliche Komödie‹. Ist es ehrgeizig, ist es nur gerecht? Darüber wird, wenn das Werk beendet ist, das Publikum entscheiden.
Paris, Juli 1842.
Eugénie Grandet
Für Maria
Du, deren Bild die schönste Zierde dieses Werkes ist, dein Name sei hier wie im Hause ein geweihter Buchsbaumzweig. Man kennt nicht den Baum, von dem er stammt, aber der Glaube hat ihn geheiligt, und fromme Hände ersetzen den welkenden durch neues Grün – zu Schutz und Segen des Hauses.
De Balzac
In kleinen Städten findet man gar häufig Häuser, deren Anblick melancholisch stimmt, melancholisch wie das düsterste Kloster, wie die ödeste Heide oder die traurigste Ruine. Tatsächlich herrscht wohl auch in diesen Häusern das Schweigen des Klosters, die Unfruchtbarkeit der Heide und der Zerfall der Ruinen. Leben und Treiben vollziehen sich in ihnen so sacht, daß ein Fremder sie für unbewohnt halten könnte, würde er nicht plötzlich dem kalten Blick eines bleichen, starren Antlitzes begegnen, das die unbekannten Schritte ans Fenster gelockt haben.
Eine derartige Melancholie beherrscht auch die Physiognomie eines Hauses in Saumur, das am Ende der Hügelstraße liegt, die zum Schloß hinaufführt. Diese jetzt wenig begangene Straße, die im Sommer drückend heiß, im Winter schneidend kalt und stellenweise sehr düster ist, hat viel Bemerkenswertes. Sie ist mit Kieselsteinen gepflastert und immer sauber und trocken; lang und schmal windet sie sich zwischen stillen friedsamen Häusern hin, die zur Altstadt gehören und vom Stadtwall überragt werden. Es gibt hier Häuser, Fachwerkbauten, die schon drei Jahrhunderte gesehen haben und noch nicht baufällig sind. Ihr malerischer Anblick erhöht den eigenartigen Reiz dieses Stadtviertels, das für Historiker wie für Künstler gleich interessant ist.
Es ist schwer, an den Häusern hier vorüberzugehen, ohne die mächtigen Eichenbohlen zu bewundern, deren Enden meist bizarre Schnitzereien tragen und so das Erdgeschoß mit schwarzen Basreliefs krönen. Hier zeichnen schräge, mit Schieferplatten gedeckte Balken blaue Linien in gebrechliche Wände, und morsche Holzsäulen stützen ein Dach, dessen Schindeln von Sonne und Regen
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