Eugénie Grandet (German Edition)
Frau, während der katholische Schriftsteller in jeder neuen Lage eine neue Frau entdeckt. Wäre Walter Scott Katholik gewesen, hätte er es sich zur Aufgabe gemacht, in aller Wahrheit die verschiedenen Gesellschaften zu schildern, die sich in Schottland gefolgt sind, so hätte vielleicht der Maler Effies und Alices (der beiden Charaktere, die geschildert zu haben er sich in seinen alten Tagen zum Vorwurf machte) die Leidenschaften mit ihren Fehltritten und ihren Strafen und mit den Tugenden, die die Reue ihnen zuweist, anerkannt. Die Leidenschaft umfaßt alles Menschliche. Ohne sie wären die Religion, die Geschichte, der Roman und die Kunst nutzlos.
Manche Leute sind, als sie sahen, wieviel Tatsachen ich anhäufte und genau so schilderte, wie sie sind, nämlich mit der Leidenschaft als Triebfeder, auf den Gedanken gekommen, und zwar sehr zu Unrecht, ich gehörte zu der sensualistischen oder materialistischen Schule, die beide nur zwei Seiten einer und derselben Anschauung bedeuten: des Pantheismus. Aber vielleicht konnte man, mußte man sich täuschen. Ich teile, soweit es sich um Gesellschaften handelt, den Glauben an einen unendlichen Fortschritt nicht; ich glaube an den Fortschritt des Menschen über sich selbst hinaus. Jene, die bei mir die Absicht bemerken wollen, den Menschen als ein fertiges Geschöpf zu betrachten, sind also in einer merkwürdigen Täuschung befangen. Seraphita, die in Handlung umgesetzte Lehre des christlichen Buddha, scheint mir eine genügende Antwort auf diese übrigens ziemlich oberflächliche, anderswo erhobene Beschuldigung.
In gewissen Fragmenten dieses langen Werkes habe ich versucht, die erstaunlichen Tatsachen, ich kann wohl sagen: die Wunder der Elektrizität zu popularisieren, die sich beim Menschen in eine unberechenbare Kraft umsetzen; aber worin stören die Phänomene des Gehirns und der Nerven, die das Dasein einer neuen moralischen Welt beweisen, die gewissen und notwendigen Beziehungen zwischen den Welten und Gott? Wieso würden dadurch die katholischen Dogmen erschüttert? Wenn das Denken eines Tages durch unbestreitbare Tatsachen unter die Fluida eingereiht wird, die sich nur durch ihre Wirkungen offenbaren und deren Wesen sich unseren Sinnen entzieht, wenn sie auch durch noch so viele mechanische Hilfsmittel unterstützt werden, so wird es damit gehen wie mit der Kugelgestalt der Erde, die Kolumbus entdeckte, oder mit ihrer Drehung, die Galilei nachwies. Der tierische Magnetismus, mit dessen Wundern ich mich seit 1820 vertraut gemacht habe, die schönen Forschungen Galls, des Nachfolgers Lavaters, und all derer, die seit fünfzig Jahren das Denken erforschten, wie die Optiker das Licht erforscht haben (und beide Dinge sind ja fast das gleiche), beweisen sowohl für die Mystiker, jene Schüler des Apostels Johannes, wie für alle großen Denker, die die übersinnliche Welt aufgebaut haben, jene Sphäre, in der sich die Beziehungen zwischen dem Menschen und Gott offenbaren.
Wenn man den Sinn dieser Dichtung recht erfaßt, so wird man erkennen, daß ich den ständigen, täglichen, geheimen oder offen zutage liegenden Tatsachen, den Handlungen des individuellen Lebens, ihren Ursachen und ihren Prinzipien die gleiche Bedeutung beilege, die bisher die Historiker den Ereignissen des öffentlichen Lebens der Nationen beigelegt haben. Die unbekannte Schlacht, die in einem Tal der Landschaft l'Indre Madame de Mortsauf der Leidenschaft liefert, ist vielleicht nicht minder groß als die berühmteste der bekannten Schlachten (Die Lilie im Tal). In der einen steht der Ruhm eines Eroberers auf dem Spiel; in der anderen handelt es sich um den Himmel. Das Unglück der Birotteaus, des Priesters und des Parfumeurs, ist für mich das der Menschheit. Die Fosseuse (im >Landarzt<) und Madame Graslin (im >Dorfpfarrer<) sind mir fast die ganze Frau. Wir leiden so jeden Tag. Ich habe hundertmal tun müssen, was Richardson nur einmal getan hat. Lovelace hat tausend Gestalten, denn die soziale Verderbtheit nimmt die Farben all der Umgebungen an, in denen sie sich entwickelt. Clarissa dagegen, jenes schöne Bildnis der leidenschaftlichen Tugend, zeigt Linien von verzweifelter Reinheit. Um viele Jungfrauen zu schaffen, muß man ein Raffael sein. Die Literatur ist vielleicht in dieser Hinsicht der Malerei unterlegen.
Es war keine kleine Aufgabe, die zwei- oder dreitausend markanten Gestalten einer Zeit zu schildern; denn diese Summe von Typen enthält schließlich jede Generation, und auch die
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