Eugénie Grandet (German Edition)
technicus für diejenigen Weingüter, die den hervorragendsten Wein lieferten. Er hätte das Kreuz der Ehrenlegion beanspruchen können, das er auch später, im Jahre 1806, erhielt. Damals zählte Grandet siebenundfünfzig Jahre und seine Frau etwa sechsunddreißig. Eine einzige Tochter, die Frucht ihrer legitimen Liebe, war zehn Jahre alt.
Die Vorsehung wollte zweifellos Grandet für den Verlust seines Amtes trösten: er beerbte nacheinander Madame de la Gaudinière, geborene de la Bertellière, Mutter von Madame Grandet, dann den alten Monsieur de la Bertellière, Vater der Verstorbenen, und ferner Madame Gentillet, die Großmutter mütterlicherseits – drei Erbschaften, deren Umfang niemand bekannt war. Der Geiz jener drei greisen Leute war so leidenschaftlich gewesen, daß sie ihr Geld aufgehäuft hatten, nur um sich im geheimen an seinem Anblick zu erbauen. Der alte Monsieur de la Bertellière nannte eine Kapitalsanlage ›Verschwendung‹ und fand eine weit größere Befriedigung im Anblick des Goldes als in den Segnungen des Wuchers. Die Stadt Saumur berechnete also die Höhe von Grandets Vermögen nach den Einkünften seines Grundbesitzes.
Grandet erhielt nun das neue Adelsprädikat, das unser Gleichheitssystem niemals auslöschen kann: er wurde der höchstbesteuerte Bürger des Bezirks. Er besaß etwa hundert Morgen Weinland, die ihm in fruchtbaren Jahren sieben- bis achthundert Ohmfaß Wein brachten. Er besaß dreizehn Meiereien und eine alte Abtei, an der er Fenster- und Torbogen vorsichtshalber hatte ausmauern lassen, damit sie nicht einstürzten, und er besaß etwa einhundertsiebenundzwanzig Morgen Wiesenland, auf dem dreitausend im Jahre 1793 gepflanzte Pappeln wuchsen und gediehen. Außerdem war das Haus, das er bewohnte, sein Eigentum.
So hatte man sein sichtbares Vermögen eingeschätzt. Was sein Kapital anbetraf, so gab es nur zwei Personen, die dessen Umfang einigermaßen abschätzen konnten. Der eine war Monsieur Cruchot, der Notar, der beauftragt war, das Geld Grandets zu verwalten; der andere war Monsieur des Grassins, der reichste Bankier von Saumur, an dessen Unternehmungen sich der Weinbauer nach Gefallen und insgeheim beteiligte. Sowohl der alte Cruchot wie Monsieur des Grassins besaßen die tiefe Diskretion, die eine Folge ist von Reichtum und Selbstvertrauen; aber sie erzeigten Monsieur Grandet öffentlich so hohen Respekt, daß es nicht schwerfiel, das Kapital des ehemaligen Bürgermeisters nach der übertriebenen Unterwürfigkeit, mit der man ihm begegnete, einzustufen. Es gab niemanden in Saumur, der nicht überzeugt war, daß Grandet einen geheimen Schatz besitze – ein Versteck voller Louisdors – und sich nächtlicherweile der unvergleichlichen Entzückung hingebe, die der Anblick einer großen Menge Goldes zu bereiten vermag. Die Geizhälse waren dessen sogar gewiß: sie brauchten nur dem Biedermann in die Augen zu blicken, denen das gelbe Metall seinen eigenartigen Glanz mitgeteilt zu haben schien. Der Blick eines Mannes, der gewohnt ist, aus seinen Kapitalien enormen Nutzen zu ziehen, bekommt notwendigerweise, gleich dem Blick des Lüstlings, des Spielers, des Diplomaten, einen charakteristischen Ausdruck, eine verstohlene Habgier, die den Gleichgesinnten kaum entgeht. Diese Geheimsprache der Augen bildet gewissermaßen die Freimaurerei der Leidenschaften.
Monsieur Grandet flößte also die ergebene Hochachtung ein, die ein Mann, der niemals irgendwem etwas schuldete, beanspruchen konnte. Der alte Böttcher und Weinbauer berechnete mit der Genauigkeit des Astronomen, ob es für die Unterbringung seiner Ernte tausend Ohmfässer oder nur fünfhundert herzustellen galt. Er versäumte niemals eine Spekulation, hatte stets Fässer zu verkaufen, wenn der Wert des Fasses den Wert seiner eigenen Ernte überstieg; er konnte seine Weinernte in seinen weiten Kellern einlagern und geduldig den Zeitpunkt abwarten, an dem er sein Ohmfaß für zweihundert Francs verkaufen konnte, während die kleinen Weinbauern ihres für fünf Louis abgeben mußten. Seine berühmte Ernte von 1811, weise gekeltert und vorsichtig verkauft, hatte ihm mehr als zweihundertvierzigtausend Francs eingebracht. Er hatte als Finanzmann viel vom Tiger und der Boa: er wußte sich hinzulegen, zu ducken, wußte sein Opfer zu belauern, zu überfallen; dann öffnete er den Rachen seiner Börse, ließ sie eine Summe Taler verschlingen – und legte sich befriedigt zur Ruhe, gleich der Schlange, die kaltblütig und
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