Eugénie Grandet (German Edition)
beschaulicher Betrachtung, Klatsch und dauerndem Herumspionieren verbringen zu können. Keine Hausfrau kann ein Rebhuhn kaufen, ohne daß die Nachbarn den Eheherrn nachher fragen, ob es auch gut zubereitet worden sei. Kein junges Mädchen kann aus dem Fenster blicken, ohne von all den müßigen Gruppen gesehen zu werden. Und wie diese schwarzen und schweigsamen Häuser keine Geheimnisse bergen, so liegen hier Seele und Gewissen offen zutage. Das Leben spielt sich fast ganz im Freien ab. Jede Familie sitzt vor ihrer Türe; hier nimmt man die Mahlzeiten ein, hier unterhält und zankt man sich. Niemand kann auch nur unbemerkt über die Straße gehen. Es war wohl schon immer so: wenn ein Fremder in ein Provinzstädtchen kam, so wurde über ihn von Tür zu Tür geklatscht. Daher stammen so manche nette Geschichtchen, daher auch der Spitzname ›die Alleswisser‹, den man den Einwohnern Angers' anhängte, die Meister waren im Stadtklatsch.
Die alten Paläste der Altstadt liegen an der Höhe der Straße und wurden einst vom Adel des Landes bewohnt. Auch das sehr melancholisch aussehende Haus, das der Schauplatz vorliegender Erzählung ist, war der ehrwürdige Rest eines Jahrhunderts, da Menschen und Dinge noch den Charakter der Einfachheit trugen, den die französischen Sitten von Tag zu Tag mehr verlieren.
Folgt ihr den Windungen dieser malerischen Straße, wo jedes noch so unbedeutende Geschehnis ein Erinnern wachruft an längst entschwundene Zeiten, dieser Straße, die uns zum Träumen verleitet, so werdet ihr schließlich an eine dunkle Tornische gelangen; hier, tief im Torbogen verborgen, befindet sich die Tür zum ›Hause Grandet‹. Es ist nicht möglich, die volle Bedeutung dieser kleinstädtischen Bezeichnung zu verstehen, ohne die Lebensgeschichte von Monsieur Grandet zu erzählen.
Monsieur Grandet genoß in Saumur ein Ansehen, das nur der begreifen wird, der vertraut ist mit dem Leben in der Provinz. Monsieur Grandet – einige Greise, deren Anzahl sich jedoch spürbar verringerte, nannten ihn sogar noch ›Vater Grandet‹ – war im Jahre 1789 ein wohlhabender Böttchermeister, der lesen, schreiben und rechnen konnte. Als die Französische Republik im Bezirk von Saumur die Besitzungen der Geistlichkeit zu Verkauf brachte, hatte der damals vierzigjährige Böttcher soeben die Tochter eines reichen Holzhändlers geheiratet. Versehen mit seinen flüssigen Geldern und dem Heiratsgut, versehen mit rund zweitausend Louisdors, begab sich Grandet in diesen Distrikt. Hier gelang es ihm dank der zweihundert Doppellouis, womit sein Schwiegervater das Wohlwollen des rohen Republikaners gewann, der den Verkauf des Nationalgrundbesitzes überwachte, für ein Butterbrot und gesetzmäßig – wenn auch nicht rechtlich – in den Besitz der schönsten Weingärten des Bezirks, einer alten Abtei und einiger Meierhöfe zu kommen.
Die Bewohner von Saumur waren wenig revolutionär gesinnt, daher erschien ihnen der Vater Grandet als ein kühner Mann, ein Republikaner, ein Patriot – als ein Geist, der den neuen Anschauungen huldigte, wohingegen der Böttchermeister nur mit den Weinbergen liebäugelte. Er wurde in die Distriktverwaltung gewählt, und sein beruhigender Einfluß machte sich bald in Politik wie Handel bemerkbar. In der Politik beschützte er den alten Adel und verhinderte mit aller Macht den Verkauf der Besitzungen der Emigranten. Im Handel lieferte er den republikanischen Armeen ein- oder zweitausend Faß Weißwein und ließ sich in herrlichen Wiesen bezahlen, die ehemals einem Nonnenkloster gehörten und die man bis zuletzt für einen günstigen Verkauf aufgespart hatte.
Unter dem Konsulat wurde der Biedermann Grandet Bürgermeister, regierte weise – kelterte aber noch besser. Unter dem Kaiserreich wurde er wieder Monsieur Grandet. Napoleon liebte die Republikaner nicht: er ersetzte Monsieur Grandet, von dem es hieß, daß er zuzeiten die Jakobinermütze getragen habe, durch einen Großgrundbesitzer, einen ›Monsieur de‹, einen späteren Baron des Kaiserreichs.
Grandet verließ den ehrenvollen Amtsdienst ohne Bedauern. Er hatte, im Interesse der Stadt natürlich, dafür gesorgt, daß ausgezeichnete Wege gebaut wurden, die nun die Stadt mit seinen Landsitzen verbanden. Seine vorteilhaft in den Grundbüchern eingetragenen Liegenschaften waren mit geringen Steuern belastet. Dank der fortgesetzten Fürsorge, die er seinen Weingütern widmete, waren sie bald ›die Krone der Gegend‹ geworden – ein terminus
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