Eugénie Grandet (German Edition)
halten: an »Cousine Bette«, das grandiose Buch, das ich nicht finster nennen kann, obwohl es fast nur Häßliches, Trauriges und Schreckliches enthält, da es von Feuer, Leben und Weisheit glüht, – an »La vieille fille«, das eine über jedes Lob erhabene Plastik der Gestalten mit der profundesten Lebensweisheit vereinigt und dabei klein, rund, behaglich, heiter ist, in jedem Betracht ein unvergleichliches Buch, ein Buch, das stark genug wäre, für sich allein den Ruhm seines Autors durch die Generationen zu tragen. Ich habe einen alten Herrn die »Contes drôlatiques« preisen hören und habe einen ändern alten Herrn mit Rührung von der Geschichte des Cäsar Birotteau sprechen hören, diesem stetigen Aufstieg eines braven Mannes, von Jahr zu Jahr, von Bilanz zu Bilanz, von Ehre zu Ehre. Und wenn es Menschen gegeben hat, die aus dem »Wilhelm Meister« die »Bekenntnisse der schönen Seele« herausschnitten und das übrige verbrannten, so hat es sicher auch den Menschen gegeben, der aus der »Comedie humaine« »Seraphitus- Seraphita« herausschnitt und sich daraus ein Erbauungsbuch machte, und vielleicht war ein solcher jener Unbekannte, der in Wien in einem Konzertsaal auf Balzac zudrängte, um die Hand zu küssen, die »Seraphita« geschrieben hatte.
Jeder findet hier so viel vom großen Ganzen des Lebens, als ihm homogen ist. Je reichlicher genährt eine Erfahrung, je stärker eine Einbildungskraft ist, desto mehr werden sie sich mit diesen Büchern einlassen. Hier braucht keiner etwas von sich draußen zu lassen. Alle seine Emotionen, ungereinigt wie sie sind, kommen hier ins Spiel. Hier findet er seine eigene innere und äußere Welt, nur gedrängter, seltsamer, von innen heraus durchleuchtet. Hier sind die Mächte, die ihn bestimmen, und die Hemmungen, unter denen er erlahmt. Hier sind die seelischen Krankheiten, die Begierden, die halb sinnlosen Aspirationen, die verzehrenden Eitelkeiten; hier sind alle Dämonen, die in uns wühlen. Hier ist vor allem die große Stadt, die wir gewohnt sind, oder die Provinz, in ihrem bestimmten Verhältnis zur großen Stadt. Hier ist das Geld, die ungeheure Gewalt des Geldes, die Philosophie des Geldes, in Gestalten umgesetzt, der Mythos des Geldes. Hier sind die sozialen Schichtungen, die politischen Gruppierungen, die mehr oder weniger noch die unseren sind, hier ist das Fieber des Emporkommens, das Fieber des Gelderwerbs, die Faszination der Arbeit, die einsamen Mysterien des Künstlers, des Erfinders, alles, bis herab zu den Erbärmlichkeiten des kleinbürgerlichen Lebens, zur kleinen Geldmisere, zum mühsam und oft geputzten Handschuh, zum Dienstbotenklatsch.
Die äußere Wahrheit dieser Dinge ist so groß, daß sie sozusagen getrennt von ihrem Objekt sich zu erhalten und wie eine Atmosphäre zu wandern vermochte, das Paris von Louis Philipp ist weggeschwunden, aber gewissen Konstellationen, der Salon in der Provinz, in dem Rubempré seine ersten Schritte in die Welt tut, oder der Salon der Madame de Bargeton in Paris, sind heute von einer verblüffenden Wahrheit für Österreich, dessen sozialer und politischer Zustand vielleicht dem des Julikönigtums sehr ähnlich ist; und gewisse Züge aus dem Leben von Rastignac und de Marsay sind vielleicht heute für England wahrer als für Frankreich. Aber der Firnis dieser für uns greifbaren, aufregenden »Wahrheit«, – diese ganze erste große Glorie des »Modernen« um dieses Werk wird vergehen: jedoch die innere Wahrheit dieser aus der Phantasie hervorgeschleuderten Welt (die sich nur einen Augenblick lang in tausend nebensächlichen Punkten mit der ephemeren Wirklichkeit berührte) ist heute stärker und lebendiger als je. Diese Welt, die kompletteste und vielgliedrigste Halluzination, die je da war, ist wie geladen mit Wahrheit. Ihre Körperhaftigkeit löst sich dem nachdenklichen Blick in ein Nebeneinander von unzähligen Kraftzentren auf, von Monaden, deren Wesen die intensivste, substantiellste Wahrheit ist. Im Auf und Ab dieser Lebensläufe, dieser Liebesgeschichten, Geld- und Machtintrigen, ländlichen und kleinstädtischen Begebenheiten, Anekdoten, Monographien einer Leidenschaft, einer seelischen Krankheit oder einer sozialen Institution, im Gewirr von etwa dreitausend menschlichen Existenzen, wird ungefähr alles berührt, was in unserem bis zur Verworrenheit komplizierten Kulturleben überhaupt einen Platz einnimmt. Und fast alles, was über diese Myriaden von Dingen, Beziehungen, Phänomenen gesagt
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