Eugénie Grandet (German Edition)
Louis Lambert, so ist Seraphita. Und so ist, über allem einzelnen, Balzacs Konzeption der Liebe. Seine »Liebe« ist die unvergleichlichste und individuellste Schöpfung. Sie ist ganz Aspiration und zugleich das Medium der geheimnisvollsten Synthese zwischen Geistigem und Sinnlichem. Sie ist ein geheimnisvolles Phänomen, das ich mit Worten nicht auflösen möchte. Sie nimmt keinen meßbar großen Raum ein in diesem wuchtigen Werk. Und dennoch scheint sie mir das, was wärmt und leuchtet, und ich könnte diese schwere Masse, diese dunkle Menschenwelt, ohne sie mir nicht anders als furchtbar denken.
Hier ist eine Welt, wimmelnd von Gestalten. Es ist keine darunter, so gewaltig empfangen, so vollständig in sich selber, daß sie, gelöst von ihrem Hintergrunde, für sich allein zu bestehen vermöchte, in der unvergänglichen Vollständigkeit ihrer Geste, wie Don Quixote, wie der König Lear, wie Odysseus. Die Materie ist brüchiger, die Vision ist nicht von so strahlender Klarheit, daß Gestalten aus ihr hervorgehen könnten, so modelliert im reinsten, stärksten Licht, wie der Homerische Achilles, wie Nausikaa, oder im zartesten Halblicht, wie Mignon und Ottilie. Alles hängt zusammen, alles bedingt sich. Es ist ihm so unmöglich, das einzelne herauszulösen, als aus einem Gemälde von Rembrandt oder von Delacroix. Hier wie dort liegt das Großartige in einem stupenden Reichtum der Tonwerte, der ab und auf, infinitis modis, wie die Natur selber, eine lückenlose Skala ergibt. Jene Gestalten dort scheinen gelöste schreitende Götter; wie sie entstanden sein mögen, ist undurchdringliches Geheimnis; diese hier sind einzelne Noten einer titanischen Symphonie. Ihre Entstehung scheint uns begreiflicher, wir glauben in unserem Blut die Elemente zu tragen, aus denen ihre finsteren Herzen gebildet sind, und mit der Lust der großen Städte sie einzusaugen. Aber auch hier waltet ein Letztes, Höheres. Wie die Skala von Finsternis zur Helligkeit auf einem Rembrandt nur darin dem irdischen Licht und der irdischen Finsternis gleicht, daß sie lückenlos, überzeugend, absolut richtig ist: aber darüber hinaus ein Namenloses in ihr wirksam ist, das Walten einer großen Seele, die in jenen Visionen selber sich einem höchsten Wesen hingibt, so vibriert hier in den Myriaden kleiner Züge, mit denen eine wimmelnde Welt hingemalt ist, ein kaum zu nennendes Letztes: die Plastik dieser Welt geht bis zum Überschweren, ihre Finsternis bis zum Nihilismus, die Weltlichkeit in der Behandlung bis zum Zynischen: aber die Farben, mit denen dies gemalt ist, sind rein. Mit nicht reinerem Pinsel ist ein Engelschor des Fra Angelico gemalt als die Figuren in »Cousine Bette«. Diesen Farben, den eigentlichen Grundelementen des Seelischen, haftet nichts Trübes an, nichts Kränkelndes, nichts Blasphemisches, nichts Niedriges. Sie sind unverweslich, von keinem bösen Hauch zu kränken. Eine absolute Freudigkeit vibriert in ihnen, die unberührter ist von der Finsternis des Themas, wie die göttliche Freudigkeit der Töne in einer Beethovenschen Symphonie in keinem Moment von der Furchtbarkeit des musikalischen Ausdruckes verstört werden kann.
1909
Balzacs Vorrede zur Menschlichen Komödie
Wenn ich einem Werk, das vor nun bald dreizehn Jahren begonnen wurde, den Titel der »Menschlichen Komödie« gebe, so wird es nötig sein, daß ich seine Idee angebe, von seiner Entstehung berichte und in Kürze seinen Plan auseinandersetze; und zwar muß ich versuchen, von diesen Dingen zu sprechen, als sei ich an ihnen ganz unbeteiligt. Das ist nicht so schwierig, wie der Leser vielleicht glaubt. Ein Werk, auf das wenig Arbeit verwandt wurde, leistet oft der Eitelkeit Vorschub, andauernde Arbeit aber macht unendlich bescheiden. Diese Beobachtung erklärt die Durchprüfung, der Corneille, Molière und andere große Autoren ihre Werke unterzogen: wenn es unmöglich ist, ihnen in ihren schönen Eingebungen gleichzukommen, so kann man sich wenigstens in dieser Empfindung mit ihnen berühren.
Die erste Idee der »Menschlichen Komödie« tauchte mir wie ein Traum auf, wie einer jener ungeheuren Pläne, denen man liebevoll nachhängt und die man entfliegen läßt; wie eine Schimäre, die lächelt, die ihr Frauengesicht zeigt, und die alsbald ihre Flügel entfaltet, um in einen phantastischen Himmel zurückzukehren. Aber die Schimäre wandelt sich wie viele Schimären zur Wirklichkeit; sie übt eine Herrschaft und eine Tyrannei aus, der man gehorchen muß. Die
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