Eugénie Grandet (German Edition)
Platz hinunter.
»Wohin so früh am Morgen?« sagte der Notar Cruchot, der Grandet begegnete.
»Etwas anschauen«, erwiderte der Biedermann, der sich selbst von seinem Freund nicht aushorchen ließ.
Der Notar wußte aus Erfahrung: wenn Vater Grandet etwas anschauen ging, gab es immer etwas zu profitieren. Er begleitete ihn also.
»Kommen Sie, Cruchot«, sagte Grandet zum Notar. »Sie gehören zu meinen Freunden; ich werde Ihnen zeigen, daß es ein Unsinn ist, Pappeln in gute Erde zu setzen.«
»Sind denn die sechzigtausend Francs nichts, die Sie für Ihre Pappeln auf den Loirewiesen eingeheimst haben?« sagte der Notar Cruchot und riß seine blöden Augen auf. »Was Sie für Glück hatten! Da fällen Sie die Bäume gerade zu der Zeit, als in Nantes Mangel an weichem Holz ist, und verkaufen sie für dreißig Francs das Stück.«
Eugénie hörte zu, ohne zu ahnen, daß sie dem ernstesten Augenblick ihres Lebens nahe war und daß der Notar ein gebieterisches Verbot ihres Vaters auf sie herabzitieren würde.
Grandet war bei den prächtigen Wiesen, die er am Ufer der Loire besaß, angekommen. Dreißig Arbeiter waren hier beschäftigt, die bislang von den Pappeln besetzt gewesenen Erdlöcher aufzufüllen und zu ebnen.
»Sehen Sie nur, Cruchot, wieviel Platz eine Pappel beansprucht «, sagte Grandet zum Notar. »Jean«, rief er einem Arbeiter zu, »nimm einmal den Zollstock und miß das Loch nach allen Seiten aus!«
»Vier mal acht Fuß«, rief der Arbeiter, als er gemessen hatte.
»Zweiunddreißig Fuß Verlust«, sagte Grandet zu Cruchot.
»Ich hatte in dieser mittleren Reihe dreihundert Pappeln, nicht wahr? Also: dreihun.. hun.. hundert mal zweiunddrei.. drei., dreißig Fu.. Fuß ver.. ver.. ver.. verschlangen mir fünfhundert Bund Heu; nehmen Sie zweimal das gleiche für die beiden Seitenreihen hinzu, macht fünfzehnhundert.«
»Weiter«, sagte Cruchot, um seinem Freund vorwärts zu helfen; »tausend Bund von dem Heu da haben einen Wert von sechshundert Francs.«
»Sa., sagen Sie zwölfhun.. hun.. hundert, da auch das Grummet noch drei- bis vierhundert Francs bringt. Nun also, be.. be.. berechnen Sie mal, was zwöl.. zwölfhundert Francs im Jahr im L.. L.. Lauf von vierzig Jahren bringen, mit den Zi nseszinsen, die.. die.. die Sie kennen.«
»So etwa sechzigtausend Francs«, sagte der Notar.
»M.. M.. Meinetwegen! Mögen es also nicht mehr als ssssechzigtausend Francs sein.« Und der Winzer fuhr nun ohne zu stottern fort: »Gut; zweitausend vierzigjährige Pappeln würden mir keine fünfzigtausend Francs einbringen. Das ist ein Verlust. Ich habe das herausgefunden, ich!« sagte Grandet zänkisch. »Jean«, fuhr er fort, »du wirst die Löcher alle zuschaufeln, ausgenommen drunten an der Loire entlang; dort wirst du die Pappeln einsetzen, die ich gekauft habe. –Wenn ich sie dort am Ufer einsetze, nähren sie sich auf Kosten der Stadt«, fügte er, zu Cruchot gewendet, hinzu, indem er das Gewächs auf seiner Nase schwenkte – eine Bewegung, die ebenso bedeutungsvoll war wie das ironischste Lächeln.
»Das ist klar: die Pappeln gedeihen nur auf magerem Boden«, sagte Cruchot, verblüfft von Grandets Berechnungen. »Jaaa, Monsieur«, erwiderte der Böttcher spöttisch.
Eugénie, die die entzückende Landschaft der Loire betrachtete, ohne den Kalkulationen ihres Vaters Gehör zu schenken, horchte auf, als sie jetzt Cruchot zu ihrem Vater sagen hörte:
»Nun, Sie haben sich einen Eidam aus Paris kommen lassen? In ganz Saumur spricht man nur von Ihrem Neffen. Ich werde bald einen Ehevertrag aufsetzen müssen, wie, Vater Grandet?«
»Ssssind Sie d.. d.. darum so früh aufgestanden, um m.. m.. mir das zu sagen?« fragte Grandet und schwang sein Gewächs. »N.. n.. n.. nun, mein alter Kamer.. r.. rad, ich will offen sein, ich w.. w.. will Ihnen sagen, w.. was Sie wiss.. wiss.. wissen wollen. Sehen Sie, ich würde lieber mei.. mei.. meine Tochter in die Loire werfen, als sie ihrem C.. C.. Cousin geben; Sie können d.. d.. das verkünden. Doch nein, lassen Sie die L.. L.. Leute schwatzen.«
Eugénie wankte; sie fühlte sich halb ohnmächtig. Die ungewissen Hoffnungen, die in ihrem Herzen aufzublühen begonnen hatten, lagen nun wie ein welker, zerpflückter Strauß am Boden. Seit gestern abend fühlte sie sich mit Charles durch alle glücklichen Bande verknüpft, die die Seelen aneinander zu fesseln vermögen; von heute ab sollte das Leid diese Bande verdoppeln! Ist es nicht die edle Bestimmung der Frau, von
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