Eugénie Grandet (German Edition)
und die einfältigen Maßliebchen mit all der Köstlichkeit, die später nicht mehr ist. Daher konnte sie sich, als sie sich so im Spiegel betrachtete und von Liebe noch nichts wußte, sagen: ›Ich bin zu häßlich, er wird mich nicht beachten!‹
Dann öffnete sie die Tür ihres Zimmers, die zur Treppe führte, und lauschte mit vorgebeugtem Kopf, ob sich noch nichts im Hause rege.
›Er steht nicht auf‹, dachte sie, als sie Nanons Morgenhüsteln vernahm und hörte, wie sie kam und ging, den Saal fegte, Feuer im Küchenherd machte, den Hund an die Kette legte und mit den Tieren im Stall redete.
Sogleich ging Eugénie hinunter und lief zu Nanon, die die Kuh melkte.
»Nanon, meine gute Nanon, mach doch etwas Rahm für den Kaffee meines Cousins.«
»Aber Mademoiselle, das hätte gestern geschehen müssen«, sagte Nanon, in helles Lachen ausbrechend. »Ich kann jetzt keinen Rahm machen. Ihr Cousin ist reizend, reizend ... wirklich ganz reizend. Sie hätten ihn gestern sehen sollen in seinem Schlafrock aus Gold und Seide. Ich habe ihn gesehen, wahrhaftig! Seine Wäsche ist so fein wie das Chorhemd von Monsieur le Curé.«
»Nanon, geh, mach uns doch einen Brotkuchen.«
»Woher soll ich denn aber das Holz nehmen für den Backofen, und Mehl und Butter?« fragte Nanon, die zuweilen in ihrer Eigenschaft als erster Minister Grandets in den Augen Eugeniés und ihrer Mutter eine sehr bedeutende Persönlichkeit war. »Muß man nicht ihn, den Mann, bestehlen, um Ihrem Cousin etwas Gutes aufzutischen? Verlangen Sie von ihm das Nötige: Butter, Mehl und Holz; er ist Ihr Vater, er kann es Ihnen geben. Halt, da kommt er schon herunter, um die Tagesrationen auszuteilen ...«
Eugenie rettete sich in den Garten, als sie jetzt die Treppe unter den Schritten des Vaters knarren hörte. Schon litt sie unter jener tiefen Schamhaftigkeit, die dem Liebenden eigentümlich ist und ihn glauben macht, seine Gedanken ständen ihm auf der Stirn geschrieben und könnten von jedermann gelesen werden.
Das arme Mädchen fühlte auf einmal, wie armselig und unbehaglich das väterliche Heim war; sie war unwillig, weil ihr nicht möglich war, diese Dürftigkeit einigermaßen mit der Eleganz des Cousins in Einklang zu bringen. Sie fühlte ein leidenschaftliches Verlangen, etwas für ihn zu tun. Was, wußte sie nicht. Kindlich und naiv, wie sie war, folgte sie ihrer reinen Natur, ohne in ihre Eindrücke oder Gefühle ein Mißtrauen zu setzen. Der Anblick ihres Cousins hatte in ihr die natürlichen Neigungen der Frau geweckt, und diese mußten sich um so lebhafter entfalten, als sie im dreiundzwanzigsten Jahre stand und sich also in der Vollkraft geistiger Entwicklung und Sehnsucht befand.
Zum erstenmal erschrak ihr Herz beim Anblick ihres Vaters, zum erstenmal sah sie in ihm den Herrn ihres Schicksals und fühlte sich schuldbewußt, weil sie ihm ihre Gedanken verheimlichte. Sie begann schneller zu gehen und wunderte sich, eine so reine Luft zu atmen, wunderte sich, die Sonnenstrahlen so belebend zu empfinden, so, als weckten sie eine geistige Glut, ein neues Leben.
Während sie über eine List nachsann, um zu dem erhofften Brotkuchen zu gelangen, erhob sich zwischen der Großen Nanon und Grandet eine der Streitigkeiten, die zwischen ihnen so selten vorkamen wie die Schwalben im Winter.
Versehen mit seinem Schlüsselbund, war der Biedermann heruntergekommen, um die für den heutigen Tag nötigen Lebensmittel zuzumessen.
»Ist noch Brot von gestern da?« fragte er Nanon. »Nicht ein Krümchen, Monsieur.«
Grandet nahm ein dickes, rundes, mit Mehl bestreutes Brot, geformt in einem jener flachen Körbe, wie sie im Anjou zum Backen genommen werden, und begann es aufzuschneiden, als Nanon sagte: »Wir sind heute unser fünf, Monsieur.«
»Du hast recht«, antwortete Grandet, »aber dein Brot wiegt stets sechs Pfund; es wird also noch etwas übrigbleiben. Übrigens diese jungen Leute aus Paris – so was ißt kein Brot.«
»So was ißt also nur die Frippe?« sagte Nanon.
Im Anjou bedeutet ›Frippe‹ im Volksmund jede Zutat zum Brot, angefangen von der auf die Brotschnitte aufgestrichenen Butter, der gewöhnlichen Zukost, bis zur allerfeinsten Zukost, der Pfirsichkonfitüre. Ihr alle, die ihr in eurer Kindheit die Zukost abgeschleckt und das Brot verachtungsvoll liegen gelassen habt, ihr werdet die Bedeutung dieses Wortes ganz ermessen können.
»Nein«, gab Grandet zur Antwort; »das ißt weder Zukost noch Brot. Die sind so zimperlich, diese
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