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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Eugénie, da, liebe Frau, das ist für euch«, sagte er und ließ das Gold tanzen. »Komm, Frau, ermuntere dich; laß dir's gut gehen, es soll dir an nichts fehlen; Eugénie ebensowenig. Da sind hundert Louis in Gold für sie. Du wirst sie nicht verschenken, die da, Eugénie, wie?«
    Madame Grandet und ihre Tochter sahen einander erstaunt an. »Nehmen Sie sie nur wieder, Vater; was wir bedürfen, ist Ihre Liebe.«
    »Schön, schön, auch recht«, sagte er, die Louis wieder einsteckend. »Leben wir als gute Freunde. Kommt, wir wollen alle zum Essen hinuntergehen in den Saal, wollen alle Abende Lotto spielen, zu zwei Sous die Partie. Laßt's euch wohl sein! Scherz und Spiel – wie, liebe Frau?«
    »Ach!« sagte die Sterbende, »gern, wenn es Ihnen Freude macht, aber ich kann nicht aufstehen.«
    »Arme Mutter!« sagte der Böttcher, »du weißt nicht, wie sehr ich dich liebe. – Und dich, mein Kind!« Er schloß sie in die Arme und küßte sie. »Oh, wie gut das tut, nach einem Zwist sein Kind in die Arme zu schließen! Mein Töchterchen! – Da sieh her. Mütterchen, jetzt sind wir ganz eins. – Geh und schließe das weg«, sagte er zu Eugénie, indem er auf das Köfferchen zeigte. »Geh, fürchte nichts. Ich werde dir nicht mehr davon sprechen, nie mehr.«
    Monsieur Bergerin, der bedeutendste Arzt in Saumur, traf bald ein. Er untersuchte die Kranke und erklärte dann Grandet mit Bestimmtheit, daß seine Frau recht krank sei, daß es aber möglich sei, bei vollständiger Gemütsruhe, zärtlicher Behandlung und peinlichster Pflege den Zeitpunkt ihres Todes bis zum Spätherbst hinauszuschieben.
    »Wird das viel kosten?« fragte der Biedermann. »Braucht man Arzneien?«
    »Wenig Arzneien, aber viel Pflege«, erwiderte der Arzt, der sich nicht enthalten konnte zu lächeln.
    »Nun also, Monsieur Bergerin«, entgegnete Grandet, »Sie sind ein Ehrenmann, nicht wahr? Ich verlasse mich auf Sie; kommen Sie nach meiner Frau sehen, sooft Sie es für nötig halten. Erhalten Sie mir mein gutes Weib. Ich habe sie sehr lieb, sehen Sie, wenn es auch nicht so aussieht – denn bei mir, sehen Sie, bleibt alles inwendig und frißt mir am Herzen. Ich habe Kummer. Der Kummer kam zu mir mit dem Tod meines Bruders, für den ich in Paris große Summen hingebe... die Augen aus dem Kopf sozusagen! Und das nimmt kein Ende. Adieu, Monsieur. Wenn meine Frau zu retten ist, retten Sie sie, und wenn man auch hundert oder zweihundert Francs dranwenden müßte.«
    Trotz der Inbrunst, mit der Grandet die Gesundheit seiner Frau herbeiwünschte – eine Erbteilung hätte für ihn den Tod bei lebendigem Leibe bedeutet —- trotz der Aufmerksamkeit, mit der er stets selbst die geringsten Wünsche von Mutter und Tochter erfüllte; trotz der zärtlichsten Pflege von Seiten Eugenies schwand Madame Grandets Kraft unheimlich schnell dahin. Tagtäglich wurde sie schwächer und welkte, wie die meisten Frauen hinwelken, wenn sie in diesem Alter von einer Krankheit ergriffen werden. Sie war matt wie sterbendes Herbstlaub. Die Strahlensonne nahender Himmelsherrlichkeit verklärte sie, wie die Sonne das Herbstlaub verklärt und vergoldet. Ihr Tod, ihr Sterben war ihres Lebens würdig, es war ein christliches Sterben, ein erhabener Tod. Im Monat Oktober 1822 strahlten all ihre Tugenden noch einmal auf: ihre engelgleiche Geduld und ihre Liebe zu ihrem Kinde; sie erlosch, ohne die geringste Klage verlauten zu lassen. Ein fleckenloses Lamm stieg sie zum Himmel auf und hatte nur ein Leidgefühl: Mitleid mit der sanften Gefährtin ihres kalten, freudlosen Daseins, der ihre letzten Blicke tausend Leiden vorauszusagen schienen. Sie zitterte davor, dies weiße Lämmchen allein zurücklassen zu müssen inmitten einer egoistischen Welt, die ihm das Fell abziehen, ihm seine Schätze rauben würde. »Mein Kind«, sagte sie, ehe sie verschied, »nur im Himmel ist das wahre Glück, eines Tages wirst du das einsehen,«
    Am Tage nach ihrem Tode fühlte Eugénie sich inniger als je an dieses Haus gekettet, in dem sie geboren war, in dem sie so viel gelitten hatte, in dem nun ihre Mutter gestorben war. Sie konnte die Fensternische und den erhöhten Sessel nicht ansehen, ohne in Tränen auszubrechen.
    Sie vermeinte, das Herz ihres alten Vaters verkannt zu haben, da sie sich von seiner zärtlichsten Fürsorge umgeben sah: er kam und reichte ihr den Arm, um mit ihr zum Frühstück hinunterzugehen; er sah sie stundenlang mit fast gütigen Blicken an; kurz, er hätschelte sie, als sei sie

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