Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
Stadtführer, einen Fotoapparat und Khakibermudas, sie präsentiert stolz das neu gekaufte Ensemble aus »einem dieser schicken europäischen Läden«, beide sind erschöpft, fürchterlich erschöpft, aber glücklich, man hat ja so viel gesehen. Zwei Zwillingsfreundinnen in ihren besten Jahren auf der Suche nach
einem stylischen Abschluss des Shoppingexzesses, sie teilen Make-up, Klamotten und gerne auch Männer, sie wissen alles voneinander, außer vielleicht, dass die eine inzwischen doch mit dem Gedanken spielt, zu heiraten, der verlängerten Pubertät ein Ende zu setzen. Sie alle bleiben einen Augenblick, einen tiefen Atemzug lang am Eingang stehen, irritiert zwinkernd, die Gedanken ordnend, vor der Jagd nach einem Platz im Zigarettenrauch, lechzend nach Luft und auch nach Alkohol, meist auch nach einem Gesprächspartner, nett, interessant und vor allem bereit, den Fluss der angestauten Gedanken aufzusaugen. Die beiden Touristen drehen wieder um, es ist zu laut, zu einheimisch, um auf das Ende der Reise anzustoßen. Die anderen wagen den Schritt in die Hölle.
Ich erhebe mich. Die Neuankömmlinge verdienen es, Perfektion in ihrer Gesamtheit betrachten zu können. Und auch in Bewegung. Mit gespreizten Fingern fahre ich durch mein Haar, es gleitet mir über die Schultern, fällt lang und glatt über den Rücken. Ich gehe abermals zur Theke. Der Wodka pur ist erst widerlich. Dann bitter. Dann warm. Dann Feuer. Ein Schluck, der Kopf im Nacken. Das leere Glas knallt zurück auf den Marmor des Tisches, ein einzelner Tropfen rinnt an der Außenseite entlang, unschuldig wie Wasser, billig. Ich lasse meinen Zeigefinger sanft die Unterlippe trockenstreichen.
Der braune Wuschelkopf auf der braunen Couch kann seine Gesichtszüge nicht länger beherrschen: Sein Mund klappt auf, der Lidschlag setzt aus. Gut, er soll seine Show haben, ich will meinen Spaß heut Nacht.
Der ganzen Lounge steht das Maul offen, als ich mich in Bewegung setze, eine gerade Linie verbindet mich und Wuschelkopf, sie scheint im Dunkel zu leuchten wie die Markierungen des Mittelgangs in einem abstürzenden Flugzeug.
Seine Kuhaugen schließen sich sehnsüchtig, gefügig, ich presse meine Lippen auf seine, zwinge ihn, sich mir zu öffnen, eine feuchtwarme Höhle, zwei Schlangen paaren sich in ihrer Mitte. Das Gift steigt in seinen Kopf, alles in ihm verlangt nach mir, der Schweiß rinnt aus allen verborgenen, verbotenen Zonen des Körpers. Ich bin die Schlampe Aphrodite, ich bin der teuflische Gott, ich bin Sex. Im Moment ekstatischer Erwartung löse ich mich von ihm. Sogar die Ledercouch ächzt und lechzt mir hinterher, alle winden sich im Staub vor meinen Füßen, wollen geschlagen werden, körperliche Schmerzen, bitte, schnell, jetzt.
Vor dem Hotel lasse ich den Portier ein Taxi rufen, während ich mich durch eine Packung rauche, eine Zigarette an der anderen entzünde. Ich hülle mich langsam in den Nebel der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – in den Nebel der Zeit. Zigarettenrauch wird mir zum Abendkleid, streichelt mich, verehrt mich und erzählt mir von denen, die ihn bereits durch ihre Lungen in ihr Herz gesogen haben, wo er sie besänftigt hat, so ruhig und still und weiß schwebend wie die Rauchschlösser an meinen Mundwinkeln. Er sagt, dass sie alle ihn geliebt haben. Sie, die mich lieben.
Ein paar pubertäre Partygänger glotzen mich an und vergessen die Mädchen in ihrer Begleitung, denen sie sonst mit Witzen und Machosprüchen zu imponieren versuchen. Einmal sind sie still in ihrem lärmenden Leben, ich bin zu viel für sie, und doch wollen sie mich haben, lächerlich. Später werden sie nach einer Frau suchen, die mir ähnelt, die mir wenigstens aus der Entfernung gleicht. Arme Jungs.
Das Taxi fährt vor. Die cremeweiße, spiegelglatte Lackfarbe erinnert mich an die Spitzen eines Brautkleides. Ich werde nicht heiraten. Ich lasse heiraten. Ich verbreite Freude, ich
lasse Blumen und Reis streuen. Ich lebe in euch, in der Braut, im Bräutigam, in den Jungfern und Trauzeugen und auch in dem Penner, der sich eingeschlichen hat und jetzt unter der überladenen Tafel die Reste aus den Sektflaschen säuft. Und ich lebe durch euch, jeder Mann, der sich nach mir verzehrt, in der S-Bahn, bei der Arbeit, wenn er seine Frau auf die Wange küsst, er ist ein Atemzug. Jede Frau, die mich beneidet, im Café, auf der Straße, sie ist ein Tropfen Blut in meinen Adern, so blau. Oder ist es Quecksilber? Seid ihr auch mein Tod? Ein paar Gäste sind
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