Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
gefunden hätte, unter meinen BHs oder in einer Sofaritze. Oder Hasch in einem selbst gebackenen Muffin. Ein Anlass für ein Gespräch. Nicht nur: »Liebling, wie war dein Tag?«
Liebling wird heute einen guten Tag haben. Nicht nur herumliegen, ich fühle mich energetisch, belebt, ich werde ein bisschen die Welt dort draußen unsicher machen. Ein bisschen Sonne aus der Sphäre saugen, den Herbst einreisen sehen, spüren, wie die Luft kälter wird.
Après-Sommerschlussverkauf-Windowshopping: mit Lederriemchensandalen das Pflaster vor den großen Marken entlangklappern, die neuen Auslagen in herbstlichen Brauntönen betrachten, bewerten, gutheißen oder verachten, die Arme mit Tüten beladen, als gebe es kein Morgen, das blaue Flecken und Blasen in den Armbeugen mit sich bringt; aber auch die Freude an den unausgepackten Tüten, heilig in ihrer Neuheit. Keine Zukunft.
Das Jetzt ist eine Straße, auf der Limousinen und flache Sportwagen langsam genug fahren, um den Blick aus und in getönte Scheiben – nicht zu hell, nicht zu dunkel – freizugeben. Zu beiden Seiten der Straße reihen sich Mannequins, manche in den Läden, manche davor, alle gleich regungslos, und nur ein leises Klirren der Armreifen oder das Ticken einer Schweizer Uhr verrät, dass man nicht in das Still eines Hollywoodfilms der Sechziger gefallen ist. Warum am Mittag
schon in bodenlanger Robe? Warum trotz aufkommender Kälte schulterfrei? Warum im Auto Sonnenbrille? Es ist schick, ma chère, auf dieser Straße kannst du es lernen. Geh einfach in eins der Geschäfte mit goldenen Knäufen an gläsernen Türen, trau dich an dem dunkelhäutigen Wachmannkoloss vorbei, denk dir: »Reich, ich bin unermesslich reich«, und keiner wird dich aufhalten. Weich nicht aus, wenn die Frau im schwarzen Schlauchkleid mit Seidenschal auf dich zustürzt, sie will doch nur, dass du dich wohlfühlst und dass du ihre Adresse nachher zu Hause an Mami weitergibst, ihr sagst, wie schön es hier ist, im Paradies der Schlauchdame, und dann kommst du bald wieder, mit Mami und ihrer kleinen, feinen Scheckkarte. Verlang ein Wasser, wenn die Schlauchschlange sich um dich windet und »Kann ich behilflich sein?« in dein Ohr säuselt. Streich über den Stoff des Kleides, das dir am teuersten vorkommt, wende dich gelangweilt ab und geh – von der seidigen Schlangenfrau mit einem Glas Bergwasser auf einem silbernen Tablett verfolgt – zu den Accessoires. Da steckt der wahre Kern eines Designkonzerns – sozusagen die Bonbons an der Apothekentheke. Ein Laden ohne Taschen, Gürtel, Tücher und Schnickschnack hat ebenso wenig Herz wie ein Doktor, der seinen Patienten den Wartequalsaal leer, langweilig und ohne ablenkenden Lesestoff anbietet. Trau den Schlangen nicht, wenn sie sagen, die Accessoires seien in die Kollektion integriert.
Diese Ecken, ich sage es euch, diese Accessoiresecken machen mich furchtbar müde mit ihrem Ledergeruch und dem Gefunkel von Diamanten und handgestickten Goldmonogrammen. Ich möchte auf dem Marmorboden umherrollen und mir lasziv Kettchen in den Bauchnabel ringeln. Ich möchte mich nackt ausziehen und wissen, dass ich – umgeben von den herrlichsten Gewändern der ganzen Welt, den
fabelhaftesten Klamotten des Universums – vollkommen nackt bin. Ich möchte so an einen Spiegel herankriechen und mich sehen, meine braune Haut und mein helles Haar in all seiner Verschwendung, ein weiteres Luxusstück. Ich: Preis auf Anfrage. Aber die leitende Verkaufsschlangendame würde wohl das Glas von dem Tablett heben und es über meinem Kopf ausgießen und mich ohne Kleider von dem großen, dunklen Mann auf die Straße stellen lassen, so dass der Verkehr noch langsamer wird und mir eine behaarte Hand aus dem Fenster eines italienischen Schlittens einen Tausender auf das Pflaster wirft. Die Schlange – aus Furcht, sie könnte das enge Kleid sprengen – würde sich nicht bücken, um meine Sachen aufzuheben und sie mir nachwerfen zu lassen. Sie würde nur den Knoten an ihrem Schal nachziehen und mein Gesicht für immer in die Kategorie unerwünscht zu den Kleptomaninnen und mittellosen Exmilliardärsfrauen speichern. Auf Wiedersehen, Accessoires.
Also vielleicht sich lieber erst gar nicht der Gefahr der Verführung aussetzen. Nicht in die Straße gehen. Schnell vorbei an der Luxuspromenade. Ab ins Kaufhaus der Normalsterblichen. Dort kümmert es niemanden, wenn ich gleich am Eingang die Hüllen fallen lasse. Aber ich werde es nicht tun.
Es ist nämlich leer.
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