Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
1949 mit der denkbar knappen Mehrheit von einer Stimme die Wahl Konrad Adenauers zum ersten
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. In Adenauers Amtszeit wurden grundlegende innen- und außenpolitische Richtungsentscheidungen für die Entwicklung Deutschlands getroffen. Gegen den zeitweiligen Widerstand der SPD zielte seine Politik außenpolitisch von Anfang an auf die feste Verankerung der Bundesrepublik Deutschland im westeuropäischen und atlantischen Staatenlager. Einen besonderen Stellenwert erhielt dabei die Freundschaft mit Frankreich, die 1963 mit dem Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit einen Höhepunkt erlebte.
Fortschreitende Integration der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnissystem und Souveränitätsgewinne gingen in Adenauers Kanzlerschaft Hand in Hand. Nach der Aufnahme in den Europarat 1950/51 war die Bundesrepublik Deutschland 1951 Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und 1957 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG). Mit der Aufnahme in Westeuropäische Union (WEU) und NATO 1955 wurde das bis dahin geltende Besatzungsstatut der Westalliierten vom 10. April 1949, das bereits 1951 in einigen Punkten revidiert worden war, abgelöst und die Souveränität der westdeutschen Republik weitgehend hergestellt. Die Zuständigkeit der Alliierten blieb auf Deutschland als Ganzes und Berlin begrenzt. Erst mit dem In-Kraft-Treten des »Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« 1991 wurden die Souveränitätsrechte dann vollständig freigegeben.
Gegenüber dem zweiten deutschen Staat, der DDR, verfolgte die Bundesregierung unter der Führung Adenauers konsequent die Politik der Abgrenzung und Nichtanerkennung. Man beharrte auf dem völkerrechtlichen Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland. Zur Umsetzung dieses Anspruches fand außenpolitisch ab 1955 die Hallstein-Doktrin Anwendung, die – benannt nach dem damaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt Walter Hallstein – besagte, dass die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen durch dritte Staaten als unfreundlicher Akt gegenüber der Bundesrepublik Deutschland gewertet werde, der seinerseits den Abbruch der Beziehungen durch die Bundesregierung zur Folge haben sollte.
Innenpolitisch waren die ersten Jahre der westdeutschen Republik von der Integration der Heimatvertriebenen aus ehemals deutschen Ostgebieten und Flüchtlingen aus Ostdeutschland, von der Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit und der Ankurbelung der Wirtschaft geprägt. Erst nach deutlichen Anlaufschwierigkeiten sprang 1952 die Konjunktur an. Ein gleichmäßiger Wirtschaftsaufschwung setzte ein. Die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland konsolidierte sich in der Folgezeit rasch. Bis Mitte der 1950er Jahre wurde die konjunkturelle und strukturelle Arbeitslosigkeit
beseitigt. Trotz des ungebrochenen Zuzuges weiterer Flüchtlinge aus der DDR konnte Vollbeschäftigung erreicht werden. Die Auslastung der Produktionskapazitäten stieg so stark an, dass sich die Bundesregierung 1955 dazu entschloss, ausländische Arbeitskräfte anzuwerben. Das von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard politisch durchgesetzte Wirtschafts- und Gesellschaftskonzept der sozialen Marktwirtschaft hatte seine Feuertaufe bestanden.
Mit der wirtschaftlichen Stabilisierung ging auch eine politische Festigung der westdeutschen Demokratie einher. Das Vertrauen der Bürger in die Politik Adenauers kam entsprechend in der Bundestagswahl 1957 zum Ausdruck: Der Kanzler und seine Politik wurden durch einen klaren Wahlsieg bestätigt, Adenauer konnte eine dritte Wahlperiode regieren.
1.3 Übergangszeit, Machtwechsel und sozial-liberale Koalition
In ihrer dritten Amtsperiode zeigte die Kanzlerschaft Adenauers jedoch deutliche Verschleißerscheinungen. Sowohl seine kurzfristigen Ambitionen auf das Amt des Bundespräsidenten und die Debatte um seine Nachfolge 1959 als auch seine politische Zurückhaltung während des von der DDR-Führung begonnenen Mauerbaus in Berlin im August 1961 und die Regierungskrise infolge der »Spiegel«-Affäre warfen Schatten auf das Ansehen des ersten Bundeskanzlers. 5 Auf Druck der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag und des Koalitionspartners FDP musste Adenauer 1963 sein Amt an Ludwig Erhard übergeben. In dessen Amtszeit fiel die erste Rezession nach fast 15 Jahren ungebrochenen Wirtschaftsaufschwunges. Zweifel vor
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