Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
war deutlicher Ausdruck einer bereits seit 1985 mit ersten Reformschritten in der Sowjetunion eingeleiteten Zeitenwende.Einen Kulminationspunkt der politischen Veränderungen in Osteuropa bildete die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989.
Die Realisierung der deutschen Einheit wurde auf politischer Ebene zunächst allenfalls als Fernziel und ohne konkreten Zeitplan diskutiert. DDR-Ministerpräsident Hans Modrow sprach in seiner Regierungserklärung vom 17. November 1989 vage davon, »eine Verantwortungsgemeinschaft beider deutscher Staaten durch eine Vertragsgemeinschaft zu untersetzen«. Bundeskanzler Helmut Kohl präsentierte elf Tage später vor dem Deutschen Bundestag ein Zehn-Punkte-Programm. Kohl legte darin sein Konzept zur weiteren deutschlandpolitischen Entwicklung dar, das aber wegen der nicht bzw. nur vage erfolgten Abstimmung mit den westlichen Alliierten, der nicht ausgesprochenen Garantie der polnischen Westgrenze und fehlender Aussagen zum Verbleib Deutschlands in der NATO auch Kritik hervorrief. Der Bundeskanzler nahm in seinem Programm den von Modrow geprägten Begriff der Vertragsgemeinschaft auf und erweiterte ihn durch das Angebot »konföderativer Strukturen« als vorläufige Grundlage der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten.
Die eindeutigen Forderungen der Mehrzahl der Ostdeutschen nach der staatlichen Einheit Deutschlands und der Einführung der D-Mark, der sich beschleunigende Verfall ostdeutscher Wirtschaftsstrukturen und vor allem der auch nach dem Fall der Mauer zunächst anhaltende Übersiedlerstrom setzten in der Folgezeit die politischen Akteure in West- und Ostdeutschland unter Handlungsdruck. Auch die für Deutschland als Ganzes und Berlin zuständigen alliierten Siegermächte Frankreich, Großbritannien, USA und Sowjetunion mussten sich ihrer Verantwortung stellen. Auf innerdeutschem und internationalem Parkett begannen schließlich Anfang 1990 intensive Verhandlungen zur Regelung der deutschen Frage und zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands.
Bis zum Oktober 1990 wurden in zahllosen Verhandlungsrunden mit dem Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, dem Wahlvertrag, dem Einigungsvertrag und schließlich dem »Zwei-plus-Vier-Vertrag« die innerstaatlichen und völkerrechtlichen Voraussetzungen zur Vereinigung beider deutscher Staaten geschaffen. Dass die dabei gewählten Strategien die mehrheitliche Zustimmung der Bürger in West- und Ostdeutschland fanden, zeigte das Ergebnis der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl vom 2. Dezember 1990, bei der die christlich-liberale Regierungskoalition unter der Führung von Bundeskanzler Kohl bestätigt wurde.
Das politische System der Bundesrepublik Deutschland wurde durch den Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 nicht grundlegend verändert; seine Institutionen wurden auf die fünf neuen Länder übertragen. Das geeinte Deutschland erhielt, obgleich dies gemäß Artikel 146 GG möglich gewesen wäre, keine neue Verfassung.
Mit dem staatsrechtlichen Vollzug der Einheit war der deutsche Einigungsprozess jedoch keineswegs abgeschlossen. Dies zeigte nicht nur die Hauptstadtdebatte. Noch heute beschäftigen die Aufarbeitung des DDR-Erbes und der Stasi-Hinterlassenschaften Politik und Gesellschaft des vereinten Deutschlands. Bis Mitte der 1990er Jahre standen dabei vor allem die Prozesse gegen ehemals führende wie auch nachrangige Funktionäre des SED-Regimes und gegen die so genannten Mauerschützen im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Für politischen Zündstoff sorgten Vorwürfe der inoffiziellen Stasi-Mitarbeit gegen bekannte Politiker wie den letzten Ministerpräsidenten der DDR Lothar de Maiziere, den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe oder den ehemaligen Vorsitzenden der PDS-Gruppe im Deutschen Bundestag Gregor Gysi. Erheblichen Stellenwert hatten zudem rechtliche Probleme wie die Behandlung von Enteignungen oder die Klärung der Frage, ob nun Bund, neue Länder oder ostdeutsche Kommunen für die Begleichung der Altschulden der ostdeutschen Gemeinden in Höhe von 8,4 Milliarden D-Mark heranzuziehen waren. Der marktwirtschaftliche Um- wie auch Aufbau der ehemaligen DDR-Staatswirtschaft stellte einen besonderen Belastungstest für das deutsche Wirtschaftssystem in den 1990er Jahren dar, Folgewirkungen sind bis heute spürbar. Die Umstrukturierung konnte nur mithilfe einer einmaligen Solidarleistung vorangetrieben
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