Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
unmöglich macht.
Relativ gering ist auch die Zahl der Journalisten, die aus eigener Kenntnis über das berichten, was in Brüssel, Straßburg und Luxemburg geschieht; sie
steht – gemessen an der Bedeutung der Europapolitik – in keinem gesunden Verhältnis zu den Zahlen der Korrespondenten der Funkanstalten und der Presseorgane in den nationalen Hauptstädten. Diese zahlenmäßige Unterlegenheit derer, die für die Information der europäischen Angelegenheiten und für deren Erläuterung zur Verfügung stehen, hat unmittelbare Folgen für ihre Perzeption und Akzeptanz durch die öffentliche Meinung, die durch die nationale Perspektive geprägt bleibt.
Die Vorgänge auf der politischen Bühne der Europäischen Union sind außerordentlich komplex. Um zu verstehen, um Einsicht zu gewinnen, um urteilen zu können, braucht man Kenntnisse und Erfahrungen, die normalerweise ein im nationalen Rahmen engagierter Politiker nicht erwirbt. Hinzu kommt, dass diejenigen Politiker und Funktionäre, die auf der europäischen Ebene tätig sind, notwendigerweise andere Prioritäten entwickeln als diejenigen, die ihren Verantwortungsbereich im nationalen oder regionalen Rahmen haben – und umgekehrt.
Aus europäischem Verantwortungsbewusstsein, das die Situationen in mehreren Ländern berücksichtigen muss, werden von den Europapolitikern oft Positionen eingenommen, die sie in einen scheinbaren oder tatsächlichen Gegensatz zu dem bringen, was von den Parteifreunden im eigenen Lande vertreten wird. Auch die für eine sachgerechte und erfolgreiche europapolitische Arbeit notwendige Kompromissbereitschaft stößt oft auf Unverständnis. Und nur ganz allmählich wird es aufgrund der zunehmenden Verschränkung von nationaler und europäischer Politik auch für nationale Parlamentarier und Parteipolitiker zur Selbstverständlichkeit, die europäische Dimension der Probleme, mit denen sie befasst sind, bei ihren Bemühungen und Entscheidungen mitzubedenken.
In den Gremien der Europäischen Parteien wiederum fühlt man sich von den Mitgliedsparteien oft im Stich gelassen. Das geringe Echo in den nationalen Medien führt dazu, dass die Relevanz des Beitrages der »Europäer« im nationalen Kontext oft nicht erkannt, also auch nicht anerkannt wird. Das fördert bei manchen Nationalpolitikern eine Neigung, das Engagement in der eigenen Europäischen Partei und deren Aktivitäten in gewisser Weise für Luxus zu halten und die transnationalen Parteistrukturen als dekorative Elemente zu betrachten.
3.6 Die Parteien im Europäischen Parlament
Der Verlauf der Kampagnen zu den sich im Fünfjahres-Rhythmus wiederholenden Europa-Wahlen bestätigt diesen Befund. Die nationalen (und/
oder regionalen) Parteiführungen in den Mitgliedstaaten können der Versuchung nicht widerstehen, diese Gelegenheiten im Sinne ihrer aktuellen, lokalen Bedürfnisse zu instrumentalisieren; dadurch bleibt wenig Raum für eine Selbstdarstellung der Europäischen Parteien, die wenig Möglichkeiten haben, sich als Akteure bemerkbar zu machen und die sich deshalb auch nicht profilieren können. Die wahlkämpfenden Mitgliedsparteien der einzelnen Parteiföderationen verfügen zwar über gemeinsam erarbeitete und beschlossene Programme, die durchweg loyal vertreten werden, aber selbst anlässlich der Europa-Wahlen wird die Europapolitik nur in geringem Maße thematisiert.
Die Ergebnisse der Europa-Wahlen bestätigten regelmäßig die dominierende Position der auf europäischer Ebene organisierten Parteienfamilien, vor allem der SPE und der EVP. Die drei Fraktionen des Europäischen Parlamentes, die sich auf die klassischen Europäischen Parteien stützen können (EVP, SPE, ELDR), verfügten in der fünften Wahlperiode (1999-2004) über 460 Abgeordnete, während auf die restlichen fünf Fraktionen 17 nur insgesamt 166 Mandate entfielen. Und es scheint, dass sich der Trend zur Konzentration auf die traditionellen politischen Kräfte von Wahl zu Wahl, auch nach der Erweiterung der Europäischen Union um zehn neue Mitgliedstaaten im Mai 2004, verstärkt. Die Kehrseite der Konzentration um die Mitte des Parlamentes ist eine gewisse Fragmentierung an der Peripherie, die zu außerordentlich heterogenen, unübersichtlichen Fraktionen rechts von der EVP und links von der SPE führt. Die Gründe dafür sind in der Innenpolitik einiger Mitgliedstaaten zu finden.
Daraus ist zweierlei abzulesen: Erstens, dass die Europapolitik innenpolitisch starke Wirkungen ausübt, die bis in die
Weitere Kostenlose Bücher