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Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

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Titel: Europa-Handbuch - Europa-Handbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Weidenfeld
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Parteien- und Koalitionsbildung hineinreichen. Und zweitens, dass die in verschiedenen Ländern sich formierenden europhoben oder euroskeptischen Gruppen auf Unionsebene keine besondere Rolle zu spielen vermögen: Wegen ihrer Befangenheit im Nationalen und wegen ihrer Fixiertheit auf die Innenpolitik ihrer Länder sind sie zur Zusammenfassung gleichgesinnter Kräfte aus mehreren Ländern und also zur Gründung Europäischer Parteien unfähig.
    Die Fraktionen der beiden großen Parteien verfügen im Europäischen Parlament annähernd über eine Zweidrittelmehrheit, die nötig ist, um dem Parlament im Gesetzgebungsverfahren gegenüber dem Ministerrat Respekt zu verschaffen. Da weder die EVP (232 Abgeordnete) noch die SPE (175 Abgeordnete) allein über eine solche Mehrheit mit anderen möglichen und (im Sinne ihrer Politik) zuverlässigen Partnern verfügt, hängt die Funktionsfähigkeit des Parlamentes tatsächlich weitgehend von ihrem Zusammenspiel ab. Die damit verbundene Verantwortung hat die Führungen beider Fraktionen
in der Vergangenheit immer wieder veranlasst, Vereinbarungen über eine konstruktive Zusammenarbeit einzugehen, darin eingeschlossen die Absprache über die Wahl des Parlamentspräsidenten.
    Allerdings deutet sich auch hier ein Wandel an, denn eine solche Verabredung hat es nach der Europa-Wahl im Jahre 1999 zum ersten Mal nicht gegeben. Die Kandidatin der EVP, Nicole Fontaine, wurde in einer Kampfabstimmung im Verein mit der ELDR gegen den sozialistischen Kandidaten, Mario Soares, durchgesetzt; und für die zweite Hälfte der Mandatsperiode wählte die gleiche EVP-geführte »Koalition« den liberalen Kandidaten, Pat Cox, ins Amt des Präsidenten. Seither werden auch Auseinandersetzungen in Sachfragen in weit größerem Maße, als das früher üblich war, konfliktuell ausgetragen. Darin kommt eine politische Profilierung der Europäischen Parteien und ihrer Fraktionen zum Ausdruck, die notwendigerweise eine Politisierung des Europäischen Parlamentes nach sich zieht.
3.7 Das Verhältnis von Partei und Fraktion auf europäischer Ebene
    In jedem parlamentarisch-demokratischen Regierungssystem, das die Existenz und die Tätigkeit von Parteien voraussetzt, ist im Verhältnis zwischen den Parteien und den Fraktionen, durch die sie im Parlament wirksam werden, ein Antagonismus zu beobachten. Daraus entsteht eine Spannung, deren Intensität von vielen Faktoren abhängig ist. Vor allem die personelle Konstellation spielt dabei eine Rolle, aber auch die Stellung der Fraktion im Oppositions- oder Regierungslager, schließlich institutionelle Voraussetzungen und Bedingungen der politischen Kultur. Normalerweise steht hinter einer starken Fraktion eine ebenso starke Partei, da einerseits die Fraktion ein Ausdruck der Partei ist und andererseits die Partei von der Fraktion geprägt wird.
    Eine Spannung zwischen den Parteien und ihren Fraktionen existiert auch auf europäischer Ebene. Jedoch sind hier die Gewichte deutlich zugunsten der Fraktion verschoben. Denn bei der Auslese der Kandidaten und bei der Wahl zum Europäischen Parlament spielen die Europäischen Parteien nach wie vor keine Rolle. Solange das Wahlrecht für die Europawahl nationalisiert ist, bleibt es Sache der Parteien in den Mitgliedstaaten, die Kandidaten aufzustellen und den Wahlkampf zu organisieren.
    Hinzu kommt die organisatorische Schwäche der Europäischen Parteien, die – solange ihre rechtliche Situation im politischen System der Union ungeklärt war – in finanzieller Hinsicht von ihren nationalen Komponenten abhängig bleiben. Diese Abhängigkeit ist an sich unproblematisch, da die
nationalen Parteien schließlich die Europäischen Parteien konstituieren. Verbunden jedoch mit einer notorischen Zurückhaltung der Mitgliedsparteien, den Europäischen Parteien die für eine wirkungsvolle Arbeit erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, blieb Letzteren nur der Ausweg, sich an ihre Fraktionen im Europäischen Parlament zu halten, die sowohl aus eigenem Interesse als auch aufgrund ihrer gemeinsamen europäischen Mission immer mehr Verständnis und Bereitschaft zur Unterstützung der Europäischen Parteien aufbrachten.
    Schon zu einem Zeitpunkt, als die nationalen Parteien noch kaum die Notwendigkeit erkannten, stellten die Fraktionen die Mittel und die Strukturen zur Verfügung, um die ersten Schritte zum organisatorischen Zusammenschluss der Parteien zu ermöglichen, aus denen ihre Mitglieder hervorgegangen waren.

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