Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
sich in den von EVP und SPE abgedeckten Meinungs- oder Interessenbereichen befinden. Denn wenn sie auf europäischer Ebene etwas bewirken wollen, müssen sie einer multinationalen, möglichst supranationalen Fraktion angehören, die Veränderungen durchsetzen kann.
Das ideologische Zeitalter ist zu Ende gegangen. Die Entwicklung von Volksparteien unter weit gehend entideologisierten Vorzeichen steht auf der Tagesordnung. Maßgeblich für das Profil der Parteien sind nicht mehr die Ideologien der Führungseliten, sondern die politisch-kulturellen Bedürfnisse und das wirtschaftlich-soziale Interesse ihrer Wählerschaft. Dies erklärt, warum die Sozialdemokraten nicht daran vorbeikamen, postkommunistische und andere Kräfte mit linker Tradition in ihre europäischen Organisationen aufzunehmen, und warum die EVP die Einbeziehung von konservativen, liberalen und anderen »bürgerlichen« Kräften betrieben hat.
4.2 Die Politisierung der Auseinandersetzung um die Gestaltung der Europäischen Union
Die Fortschritte, die im Laufe der letzten Jahre im Hinblick auf die rechtlichen Grundlagen und die Stellung der Europäischen Parteien im politischen System der Union gemacht werden konnten, müssen im Zusammenhang mit den allgemeineren, neuen Bestimmungen der Verträge von Maastricht (1992), Amsterdam (1996) und Nizza (2000) gesehen werden, die für die diesbezügliche Entwicklung relevant sind.
Zum Beispiel wird durch die Verpflichtung der Union auf die Demokratie, die Menschen- und Freiheitsrechte und die Respektierung rechtsstaatlicher Prinzipien (Artikel 6 EU-Vertrag) der mit dem Maastrichter Vertrag beschrittene Weg von der Staaten-Union zur Bürger-Union ein gutes Stück weitergegangen. Auch die Bestimmungen über die Freizügigkeit, das Asylrecht und die Immigration gehen in diese Richtung; in Verbindung mit dem Konzept der Gewährleistung der inneren Sicherheit im Rahmen der Union bilden sie weitere wichtige Elemente der Verwirklichung einer Unionsbürgerschaft.
Entsprechendes kann man auch sagen von den (auf mehr parlamentarische Mitsprache abzielenden) Bestimmungen, von der (mehr Transparenz versprechenden) Vereinfachung der Entscheidungsverfahren und schließlich auch von der (mehr Subsidarität garantierenden) Präzisierung der Regeln für die Zuweisung der Aufgaben und der Verantwortung an die verschiedenen Ebenen innerhalb der Union.
Alle diese Elemente sind im Verfassungsprozess von Konvent und Regierungskonferenz aufgenommen, systematisiert und konsolidiert worden. Im Laufe der kommenden Jahre werden, nach In-Kraft-Treten der neuen Verfassung (die allerdings eine Beilegung der gegenwärtigen Ratifizierungskrise voraussetzt), erhebliche Veränderungen des politischen Systems der Europäischen Union zu erwarten sein, die zu einer stärkeren Demokratisierung und Transnationalisierung der Debatte führen werden. Die Machtstellung des Europäischen Parlamentes wird dadurch gefestigt und ausgebaut. Und es ist evident, dass dadurch auch die Rolle der Europäischen Parteien wachsen wird, denn diese Debatte und die damit verbundene Auseinandersetzung wird auf die Parteistrukturen angewiesen sein.
Die Bestimmung des Profils Europäischer Parteien durch das im Juni 2003 verabschiedete Parteienstatut gibt nicht nur der Bedeutung dieser Parteien selbst einen enormen Schub. Es sind davon auch erhebliche Impulse auf die Normalisierung des politischen Systems der Europäischen Union im Sinne der Demokratie und des Föderalismus zu erwarten.
Anmerkungen
1 Vgl. Institut für Europäische Politik (Hrsg.): Zusammenarbeit der Parteien in Westeuropa. Auf dem Wege zu einer neuen politischen Infrastruktur? (Band 43/44 der Schriften des Instituts für Europäische Politik), Bonn 1976; Stammen, Theo: Parteien in Europa. Nationale Parteiensysteme. Transnationale Parteienbeziehungen. Konturen eines europäischen Parteiensystems, München 1977.
2 Vgl. Gresch, Norbert: Transnationale Parteienzusammenarbeit in der EG, Baden-Baden 1978.
3 Vgl. Bangemann, Martin u.a.: Programme für Europa. Die Programme der europäischen Parteienbünde zur Europa-Wahl 1979 (Band 51 der Schriften des Instituts für Europäische Politik), Bonn 1978; Karnofski, Eva-Rose: Parteienbünde vor der Europa-Wahl 1979. Integration durch gemeinsame Wahlaussagen (Band 59 der Schriften des Instituts für Europäische Politik), Bonn 1982.
4 Jansen, Thomas: Zur Entwicklung supranationaler Europäischer Parteien, in: Gabriel, Oscar W. u. a. (Hrsg.): Der
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