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von einem, der so viele Millionen gemordet hatte. Nachdem er in der Welt tätig gewesen war, kehrte er jedes Mal zu ihr zurück. Seine Redlichkeit sagte: Ich glaube, ich kann das gerade nicht. Ich habe das Gefühl, ich
müsste dich erst wieder ganz neu kennenlernen. – Seine Redlichkeit sagte: Hast du dir den Mund ausgespült? Du schmeckst nicht sauber. – Sie sagte: Du weißt doch, ich bin ganz empfindlich da unten. Mir ist gerade nicht danach. Sie sagte: Bitte geh nicht. Sie sagte: Das fühlt sich so schön an. Sie sagte: Oh, Liebling. – Sie weinte, wenn sie sagte: Geh nicht. Als er sie wiedersah, weinte sie und sagte: Ich kann nicht mehr so leben. – Dann hörte sie auf zu weinen. Sie wurde ganz ruhig und sanft.
Als die Geliebte mich schließlich verließ, tat es mir zuerst nicht allzu weh, aber dann wurde mir mein Herz, das noch nicht gebrochen war, krank vom Gift der Abwesenheit, das sie mir einträufelte. Dann schienen all meine Freunde sich von mir zurückzuziehen, was einfach bedeutet, dass sie mir nicht mehr wie Freunde vorkamen, da sie kein Ersatz für sie waren; und mit jedem Augenblick, den ich nicht länger damit rechnen konnte, sie zu sehen, entzündete sich mein Herz vor Kummer ein wenig mehr. Und doch war es noch stark, denn unsere Liebe war stark gewesen (so hatte ich jedenfalls geglaubt); deshalb musste der Todeskampf sich ausweiten, verlängern und endlos winden wie ein parasitischer Wurm. Ein starker Organismus kann nicht sterben. Und so klammerte Wlassow sich weiter an die vergangene Zeit, als er noch mit seiner Redlichkeit intim gewesen war. (Sie sagte ihm: Wir können einen Augenblick lang beisammenliegen, wenn du das brauchst, so lange es nicht zu intim wird. Das kann ich nicht mehr, das würde mich verwirren …)
Nun war sie eine Statue, sicher vor ihm hinter dickem Glas. Sie wollte ihm eine Freundin sein. Barmherzig und kühl bemitleidete sie ihn. Nun war er frei. Er musste sich seinen Weg im Leben selber suchen.
21
Sie schickten ihn auf eine Reise durch die besetzten Gebiete, um die Werbetrommel zu rühren. Am 28.2.43 traf er in Smolensk ein, wo er zu donnerndem Beifall vor den Heloten sprach. (Dieser Mann hat in Lwow die Vierte Motorisierte gegen uns kommandiert!, erklärte Strik-Strikfeldt jedermann in ehrerbietigem Tonfall.) – Russland muss unabhängig sein, sagte Wlassow immer wieder. – Er stand auf einem rußgeschwärzten und vereisten Sockel, der einmal die Last eines marmornen Titanen getragen hatte, und blickte auf sein Publikum herab: bibbernde
alte Männer, zu schwach für den Arbeitseinsatz, heimatvertriebene Bäuerinnen mit dunklen Kopftüchern, hungrige Büromenschen, denen man in Ermangelung von etwas Besserem Wlassow vorsetzte. Für diese Menschen, die die Hoffnung noch immer nicht ganz aufgegeben hatten, die Deutschen könnten etwas Gutes bringen, war seine Rede elektrisierend. Dass einem der Ihren – noch dazu einem berühmten General – überhaupt erlaubt wurde zu sprechen, und dann auch noch zur Schaffung eines russisch-deutschen Bündnisses gegen Stalin aufzurufen, während rundherum Wehrmachtsoffiziere standen, nachsichtig lächelnd, war ein Zeichen, dass ein Mittelweg, wie einsam und notdürftig auch immer, hin zu jener Erlösung, die die meisten von ihnen auch nach zwei Jahrzehnten der Umerziehung weiterhin religiös verstanden, vielleicht mehr war als ein trauriges Hirngespinst. (Wir haben es ja gesagt!, flüsterten die alten Männer. Jetzt, mit den Partisanen und Stalingrad und dann dem Ausbruch aus Leningrad, kann Adolf sich diesen Hochmut nicht mehr erlauben …) Hoch erhob Wlassow zum Lob der kommenden russischen Siege den rechten Arm. Dann wurde er wieder fotografiert, wie er strammstand, neben angetretenen faschistischen Offizieren in gewichsten Schaftstiefeln. Er wurde durch die wieder eröffnete Kathedrale geführt: Hitler, der Befreier, brachte die Religion zurück! (Aber auch der hinterlistige Stalin ließ Kirchen wieder eröffnen.) An jenem Abend sprach er vor vollem Haus im Staatstheater, es gab nur noch Stehplätze. Seine Förderer wagten noch nicht, ihm zu erlauben, im Radio zu sprechen. Drei Wochen lang machte er hier und da Propaganda und warb Freiwillige an. Die ersten Wlassow-Männer standen schon zur Inspektion für ihn stramm. (Gehen wir davon aus, dass er nichts von den russischen Kriegsgefangenen wusste, die in Auschwitz vergast, in Dachau und Buchenwald erschossen wurden. Allein in Smolensk lag die Sterblichkeitsziffer
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