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Eindeutschung der Ostgebiete zu plaudern. A. A. Wlassow hätte ebenso gut eines der steinernen Gemäuer Berlins sein können, gekrönt von geflügelten Figurinen, Figurinen mit Kruzifixen oder Lanzen, alle von der Zeit zu ihrer eigenen Silhouette eingeschwärzt. Die Deutschen fingen an, sich um seine Gesundheit zu sorgen. Außerdem war über seine Phantomarmee eben eine weitere Verlautbarung herausgekommen, und sie wollten nicht, dass sich die ganze Aufmerksamkeit auf ihn konzentrierte. Warum ihn nicht für eine Weile verschwinden lassen? Also schickten sie ihn auf Kur, mit Strik-Strikfeldt als Aufpasser. Oh ja; sie ließen ihn den Rhein bereisen, dessen Windungen manchmal fast Kreise beschrieben; die Daumen und Zeigefinger aus Wasser quetschten manch von Bäumen und schindelgedeckten Häusern bestandene Halbinsel in Inselform, während das Sommerlaub sich breitmachte. Er besuchte Köln, Frankfurt, Wien …
Was für ein Anblick!, rief sein bester Freund und kniff fröhlich die Augen zusammen. Schauen Sie schnell, mein lieber Wlassow! Nein nein, da drüben! Es raubt einem fast den Atem …
In einem Park standen deutsche Mädel aufgereiht, mit ausgestreckten Armen und vorgestreckten Brüsten, und taten es dem steifen Wachspüppchen von einer Lehrerin nach, das vor ihnen auf den Stufen des Denkmals stand und rief: Eins, zwei, drei! Und jetzt alle zusammen!
Wlassow trank weiter. Nach beträchtlichen Anstrengungen (die sein Schützling alle nicht zu würdigen wusste) bekam Strik-Strikfeldt Erlaubnis, ihn in ein Erholungsheim für-Männer im bayrischen Ruhpolding zu bringen. Und dort begegnete Wlassow seiner deutschen Frau.
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Falls Sie je Adolf Zieglers Gemälde »Die vier Elemente« gesehen haben sollten, über dem Kamin in unserem Führerhaus in München, werden Sie sich vielleicht an die schlanke, kleinbrüstige blonde Frau auf der Mitteltafel des Triptychons erinnern, die sich im Sitzen an ihre dunkelhaarige Schwester lehnt, bescheiden auf den gekachelten Boden blickt und mit dem Ellenbogen die Stelle schützt, wo ihre keusch zusammengepressten Schenkel zusammenfinden. Es ist etwas Absurdes (oder, wie Wlassow sagen würde, Unrealistisches) an den Posen der drei anderen Aktfiguren, besonders der dunkelhaarigen, die sich artig ein Tuch über den Schoß zieht, während sie mit der Rechten eine Korngarbe umfasst. Die verschlossene, gedrungene Gestalt der Blonden wirkt wenigstens natürlich und ungezwungen. Die gnadenlose Reinlichkeit des Raumes, in dem das Gemälde hängt, das Putzige des kleinen runden Tischchens zwischen Sofa und Kamin, die frisch geschrubbten Ziegel dieses Kamins und vor allem die angestrengte allegorische Natur von Zieglers Werk, all das überzieht die Anzüglichkeit mit Zuckerguss und macht eine ordentliche Pille Anstand daraus. Und die lächerlichen Gesten dieser arischen Göttinnen versüßen die Pille noch mehr. Niemand würde je die Arme so halten oder den Kopf so verdrehen, es sei denn unter dem Einfluss eines Maschinengewehrs, dessen Feuerstoß einen ins Massengrab schleudert! Aber die sitzende Blonde könnte (sieht man von der leeren Schale ab, die Ziegler ihr in die Hand gedrückt hat) fast aus dem »wirklichen Leben« stammen.
Haben Sie schon erraten, dass Heidi Bielenberg Athletin war? Sie war eine dieser blonden Frauen mit geflochtenen Zöpfen, dieser blauäugigen Blondinen, die, vor seligem Aufgehobensein in der Masse kreischend, die Arme aus den weißen Ärmeln zum Gruße recken, vor einem Spalier aus-Männern mit ausdruckslosen Mienen, die Helme mit Hakenkreuzen auf roten Schilden geschmückt; so dass alles rundherum weiß, schwarz, grau, rot und blond wird. Zuerst entdecken wir sie in einer dichten Reihe deutscher Mädel in enganliegenden Unterkleidern, die Bälle über den Kopf heben: Eins, zwei, drei, vier! Und jetzt alle zusammen! Heidis Ausbilderin sagte ihr, sie sei zu Großem fähig, wenn sie hart arbeite und sich selbst mit unnachgiebiger Härte behandle. Das fiel ihr leicht. Sie war schon immer so gewesen. Ihre Mutter war genauso. Heidi wollte an der Olympiade von 1936 teilnehmen, aber das erwies sich als unmöglich. Zum Glück gab es in unserem Reich viele andere
spannende Aufgaben. Sie wurde eine hervorragende Revolverschützin und erhielt einen Waffenschein (für eine 7,65-mm-Walther, wie ich glaube). Ihr hübsches Gesicht, das von Spezialisten mit Messschiebern vom Nasenrücken bis zum Kinn vermessen worden war, und ihr Haar, dessen Farbton man mit verschiedenen
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