Europe Central
sein. Sie wusste, wie sie aus ihren Beziehungen das Beste machen konnte, und bestimmt tat sie auch jetzt für ihn, was sie konnte. Sie war eine überaus loyale Ehefrau! (Auch von Manstein sollte ihm helfen; im vergangenen Juni hatte Paulus ihm Angriffsgeschütze geliehen, ganz zu Beginn des Unternehmens Barbarossa.) Nach Kriegsbeginn hatte er bei mehr als einer Gelegenheit das breite Grinsen der-Männer zu sehen bekommen, die in der Wolfsschanze ausgezeichnet wurden, und obwohl er der von den regulären Truppen so stark abgehobenennicht traute, stellte er sich doch vor, wie er eines Tages selbst dort stehen würde, nicht um eine weitere Routinebeförderung, sondern um eine Auszeichnung für seine Tapferkeit im Felde entgegenzunehmen; schon damals träumte er davon, irgendwann einmal Feldmarschall zu werden. Seltsamerweise hatte sich dieser Wunsch zum ersten Mal bei einer mu
sikalischen Darbietung gezeigt. Kurz vor Beginn des Falles Gelb hatten Coca und er hören dürfen, wie Furtwängler persönlich mit den Berliner Philharmonikern Beethovens »Kaiserkonzert« zur Aufführung brachte. Das Meer aus weißen Notenblättern war wie die unversehrten Panzerschuppen einer strahlenden Rüstung, die Musik allerobernd; und rundherum saßen atemlos entzückte Myriaden, dann sprangen sie auf und applaudierten und erzeugten ein Geräusch, so ohrenbetäubend wie Maschinengewehrfeuer. Coca hatte ihr Haar offen getragen wie der junge Filmstar Lisca Malbran, weil sie jünger wirken wollte, was sie nicht nötig hatte. Sie hatte sich wirklich nie um so etwas sorgen müssen, jedenfalls nicht, was ihn betraf; sie war so majestätisch, stand so hoch über ihm, dass er schon froh war, wenn er einfach neben ihr sitzen durfte, und er wusste, dass sie für ihn noch immer genauso schön sein würde, wenn sie die mittleren Jahre hinter sich gelassen hatte. Nun hob Furtwängler also seinen Dirigentenstab, und die 5. Sinfonie verzauberte den Saal mit ihrem »Schicksalsmotiv«, so lieblich und geheimnisvoll wie ein Ju-88-Bomber nachts vor dem Start, wenn seine Propeller lange wirbelnde Schatten auf den glasigen Glanz des Rollfelds werfen. Er hatte sich vorgestellt, Furtwängler zu sein, unser Führer der Musik, dessen Melodie nun allen in die Herzen strömte; da wurde ihm plötzlich klar, dass er all das sehr wohl sein konnte; auch er konnte einen Stab besitzen, so dicht mit Edelsteinen besetzt wie Görings; und er begann, den Krieg irgendwie so zu betrachten, wie unser Führer es wohl tat, also nicht als Umsetzung vorausberechneter Operationen, sondern als reine Musik, Pulsschläge göttlicher Schöpferkraft, die sich nach dem Muster ihrer eigenen Harmonien organisierten. Und als seine Panzer die Alleen von Charkow herunterratterten (eine Großtat, für die sie von prominenten Ukrainern beglückwünscht wurden), fühlte er sich wirklich, als stünde er am Dirigentenpult. Wie war es wohl für Hitler, wenn er in Nürnberg auf dem Podium stand, hunderttausend Nazis seinen Namen skandierten und Flak-Suchscheinwerfer durch die Nacht schwenkten? Und nun war von Manstein fast auf diese Ebene erhoben worden – nicht unverdient natürlich. Das machte schon zwölf. Wie konnte er, Friedrich Paulus, der dreizehnte werden? Nach der Einnahme Stalingrads, sollte der Führer die Stadt doch haben wollen, würde die 6. Armee weiter in Richtung Kaspisches Meer vorstoßen. Vielleicht, wenn er schnell genug vorankam und ausreichend Gefangene machte,
würde der Führer sich seiner erinnern … Er nahm hinter seinem Feldschreibtisch Platz und setzte eine Gratulation an Feldmarschall von Manstein auf.
4
In schnellem, gebücktem Lauf, das Gewehr vorgestreckt wie einen Phallus aus Stahl, eroberten seine Männer immer größere Teile Russlands. Dieses düstere Land, geschändet von roten und weißen Kosaken, vom Kampf Nachbar gegen Nachbar, dann mit wissenschaftlicher Genauigkeit vom Entkulakisierungsprogramm des Genossen Stalin ausgehungert, wollte einfach nur schlafen und seinen Buchweizen anbauen, aber nun war die 6. Armee gekommen, und hinter jeder Ruine standen und starben russische Scharfschützen; jemand sprach pausenlos von Brathähnchen. Die verhörten Zivilisten stritten ab, dass es hier jemals einen Kommissar gegeben habe, zeigten aber gern auf alle Juden; jene wies man an, nach Hause zu gehen und auf die Einsatzgruppen zu warten, die bald kommen würden. Er war sich mit Coca einig, dass man die Juden vom gesellschaftlichen Leben unserer Nation
Weitere Kostenlose Bücher