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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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Sache mit der Endlösung, auch wenn er sicherlich bereit war, seinen Beitrag zum Sturz der jüdischen Weltherrschaft zu leisten. Kurz, es gab
einige Aspekte des neuen Deutschlands, die Generalleutnant Paulus nicht gefielen. Aber …
    Es wäre Generalleutnant Paulus gegenüber ungerecht, wenn ich Ihnen hier den Eindruck vermitteln würde, er sei im engeren Sinne »ehrgeizig« gewesen. Mit gallischem oder mediterranem Blut in den Adern hätte es ihn bestimmt zu den fêtes hingezogen, die diese minderwertigen Jungvölker auszeichnen. Als Deutscher drückte sich seine Begeisterung für Spektakel – denn mehr war es ja nicht – nüchterner aus. Er nahm an militärischen Zeremonien aller Arten teil, selbst wenn seine Waffengattung nicht vertreten war; er war zum Beispiel zugegen, wenn blau-schwarze Dreierreihen von Marineleuten auf dem Vorderdeck ihre Eisernen Kreuze erhielten. Nachdem wir die Tschechoslowakei zerschlagen hatten, fehlte es ihm dafür an Zeit. Später jedoch, an der Ostfront, dekorierte er seine Truppen offenbar gern persönlich, bis hinunter zu den hübsch bunten Schulterstücken für unsere einheimischen Ost-Freiwilligen: Kosakenreiter, ukrainische Polizeitruppen und dann auch noch den gelegentlichen russischen »Hiwi«, den wir anderen lieber nicht zusätzlich ermutigt hätten. Dieses hochzeremonielle Verteilen und Entgegennehmen von Auszeichnungen schien ihm gutzutun. (Und war das nicht ganz harmlos? Coca machte sich zum Beispiel gerne für die Oper schön.) Als Feldmarschall von Reichenau ihm gesagt hatte, mit einem fast schon brutalen Schlag auf den Rücken, dass der Führer sich habe überzeugen lassen (von ihm, dem Feldmarschall natürlich), Paulus das Kommando über die 6. Armee zu übertragen, gingen seine Empfindungen weit über Freude hinaus, es war fast ein Schock. Das war unerwartet gekommen. Die meisten von uns halten ganz einfach jeden Segen, den das Schicksal uns gewährt, für verdient; aber Paulus, der goldenen Träumen immer echtes Eisen vorgezogen hatte, war die große Veränderung fast unerträglich. Sie müssen wissen, die 6. Armee war keine Armee wie jede andere; sie war ganz einfach die größte Kampfeinheit unseres Reiches: zwanzig deutsche Divisionen, zwei halb aufgeriebene rumänische Divisionen, ein kroatisches Regiment, zahlreiche Angehörige der Organisation Todt und sonstige Zivilisten – deutlich über eine Viertelmillion Männer. Und sie war sein; er hatte alles erreicht, was Coca je für ihn erhofft hatte. Höher konnte er nicht mehr aufsteigen, es wäre denn zum Feldmarschall. Wer war er also, sich gegen diese Gelegenheit aufzulehnen?
    Generaloberst Halder hatte im OKW einmal gesagt: Die Führer müssen von sich das Opfer verlangen, ihre Bedenken zu überwinden.
17
    Ganz ohne Frage, sagte Paulus.
    Dann beugte Halder sich unangenehm weit vor und schien ihn in etwas hineinziehen zu wollen, aber was das war, wollte Paulus lieber gar nicht wissen.
    3
    Am 28.6.42 wurde der Fall Blau eingeleitet. Am 30.6.42 brach Paulus durch die Linien der feindlichen 21. Armee, schob die Trümmer der 28. beiseite und fügte Stalins Südwestfront einen tiefen Riss zu. Auf einer Wiese machten sie für den Abend Rast. Seine Panzertruppen sangen vierstimmig »Erika«, während sie die Gewehre auf den Eisenbahngleisen zusammenstellten; niemand fürchtete versprengte Russen. Akkurat gekleidet trat er aus seinem Zelt, lächelte über die Melodie, und sofort brüllte eine Stimme: Achtung! Stillgestanden!, worauf die ganze Mannschaft für ihn strammstand, die Gesichter gebräunt zum braunrosa Farbton des Minerals Germanit, und da lächelte er noch ein wenig breiter, dann zog er sich zurück und ließ sie in Frieden singen. Aber nun waren sie verunsichert und blieben still. Auch ihm war nicht ganz wohl; sein Ritterkreuz für Charkow war ihm noch nicht ganz Auszeichnung genug; es war fast, als wäre er wieder ein Kind, dem die Eltern nur vorläufig erlaubt hatten, mit ihnen am Tisch zu Abend zu essen, und das immer mit Kritik an der Art rechnen musste, wie er das Fleisch schnitt. Sein Vater hatte ihm nie den kleinsten Fehler durchgehen lassen, und vielleicht war es für ihn deshalb so wichtig, jede Frage hin- und herzuwälzen, bis an der richtigen Lösung nicht mehr zu zweifeln war. Manchmal fühlte er sich sogar in Cocas Gegenwart unwohl; deren Ahnen gingen bis auf den römischen Kaiser Justinian zurück. Er konnte noch immer nicht ganz glauben, dass man ihm diese dreihunderttausend Mann da

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