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werden.
Das mag so sein. Aber dann ist deine Sünde, dass du dich hinter der Unmöglichkeit versteckst, als Schutzschild gegen jede Art von Engagement.
Mit anderen Worten, Kurt, du wirfst mir vor, stillzuhalten, während du aufstehst und dich opferst. Aber wem folgst du?
Ich folge unserem Herrn Jesus Christus, erwiderte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Das glaubst du. Aber was, wenn du eine Figur aus der Kollwitz-Zeichnung bist und dem Knochenmann folgst?
Ihr Abschied war kühl. Die U-Bahn war voller Kriegsversehrter und alter Frauen. Er sah sie noch vor sich, wie sie '32 voller SA -Leute gewesen war, die zotige Lieder sangen und die Menschen auf ihre gutmütige Art bedrohten; dann hatte der Führer Röhm beseitigt, und danach sah man vor allem, ruhig, kühl und professionell; inzwischen waren die Aktenordner für den Fall Weiß und das Unternehmen Barbarossa aufgesprungen und die Männer wurden vom Krieg verschlungen. Er vermisste die SA -Leute. Damals hatte er noch an den Sieg geglaubt. Elektrisiert von Worten wie drakonische Maßnahmen , wäre er fast den Braunhemden beigetreten.
Helmut Franz hatte in der Einschätzung seiner Person teilweise recht; immer hatte Kurt Gerstein sich freiwillig gemeldet. Beim ersten Mal, als er in die Partei eintrat, war es echter deutscher Feuereifer gewesen; Bertha lebte noch. Dann hatte er sich freiwillig für den Posten »Spion Gottes« gemeldet.
Außerdem war Helmut Franz vielleicht neidisch. Er würde zum Beispiel nie so gesund aussehen wie Kurt Gerstein.
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Der Weg hinab ins Dunkel! Bertha lag unter dem irdenen Hügel, in den ein Pfad hinein führte, unter dem hohen, konischen Ziegelschornstein. Hatte er sich nicht das Recht erkämpft, sie zu lieben wie ihre Schwester? Auf reiß die Thüre!
55 Die Wachhunde des Kommandanten jaulten; diebildete mit präsentiertem Gewehr ein Doppelspalier;
sie waren die Ehrengarde;. Was würde als Nächstes geschehen?.
Er konnte sich nicht länger vorstellen, was als Nächstes geschah. Er war am Ende; er hatte alles getan; es war vorbei.
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Ja, es war vorbei. Bald würden die Jäger verbergen müssen, was sich noch verbergen ließ. Und auf Messers Schneide wandeln wie Kurt Gerstein. Denn die Aktion Reinhardt neigte sich dem Ende zu! Den offiziellen Quellen zufolge würde Hauptmann Wirth im Herbst '44 von jüdisch-bolschewistischen Partisanen ermordet werden, während Gruppenführer Globocnik sich aus Verzweiflung über den Verrat der Wehrmacht an unserem Führer mit seiner Walther-Pistole (Geco, 7,65 Millimeter) in den Kopf schoss. Ihre Leichen würden nie gefunden werden. Das jüdische Raubgold war schon in der Schweiz, in alsklassifizierten Stahlkammern. Das Sonderkommando 1005 (Leichenvernichtung) hatte seine Arbeit in den Ostgebieten, die noch unter unserer Kontrolle waren, fast abgeschlossen; in Majdanek hatten sie leider gepatzt; in Lemberg, das schon wieder Lwow hieß, hatten sie Spuren hinterlassen; aber in Auschwitz war alles bereit, die Gaskammern und Krematorien zu gegebener Zeit zu sprengen, damit man uns nichts beweisen konnte. Natürlich forderte das Sonderkommando 1005 große Mengen Methanol an. Gerstein tat, was er konnte, um ihre Arbeit aufzuhalten, nämlich nichts. Erneut versuchte er, den Baron von Otter zu beschwatzen. Um gegebenenfalls einem Nachkriegs-Staatsanwalt, dessen Auftauchen er sich nicht länger vorstellen konnte, etwas vorweisen zu können, notierte er die Lage der Gruben und die ungefähre Masse, die sich darin befand, die dicht gedrängte Masse, wie ich sagen sollte, deren Form etwas von der Unregelmäßigkeit eines Feuerballs an sich hatte, der nach einem Volltreffer aus einem Flugzeug erblüht; dieses Ding, das vom Sonderkommando 1005 mit Spitzhacken in seine Einzelteile zerlegt werden musste, bevor man mit der Verbrennung beginnen konnte, suchte Gersteins Alpträume heim, bis es darin buchstäblich zu stinken begann; er erwachte mit Erstickungsanfällen, die Faulgase von Belzec im Mund. Sobald der Krieg vorüber war, würde er natürlich seine eidesstattlichen Erklärungen aufsetzen und als freier Mann davonkommen.
Was die Jäger anging, denen war das Sonderkommando 1005 scheißegal. Sie entließen sich selbst gegen die Befehle (beziehungsweise vor deren Eintreffen) aus dem Kriegsdienst und wollten sich kleine weiße Häuser auf diversen Auen kaufen. Ihre Vergangenheit blieb, das ist wohl wahr, knochig wie Felsen unter dem satten Grün, aber sie sagten sich, wie sie es schon immer getan hatten,
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