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fragen wollte.
Ja, Vater?
Warum trägst du keine Reitpeitsche?
Wie bitte?
Nun, ich sehe oft-Männer mit Reitpeitsche. Ich finde, das sieht sehr schneidig aus. Soll ich dir eine kaufen?
Sehr großzügig von dir, Vater, aber nur die Mannschaften vor Ort tragen Reitpeitschen, in Belzec zum Beispiel …
Nun, warum arbeitest du dann dort nicht in fester Stellung? Im Ernst, mein Junge, ich mache mir Sorgen um dich. Es sieht aus, als würdest du vom Weg abkommen.
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Es sieht aus, als würdest du vom Weg abkommen, hatte sein Vater gesagt, aber Bertha flüsterte ihm zu, wie stolz und dankbar sie sei, dass er sie nicht verraten hatte …
Ha ha! Du hättest mal sehen sollen, wie wir die abgemurkst haben, als …
Aber lieber nicht deiner Frau erzählen!
Grete? Die ist so etepetete, die würde doch nie …
Jetzt bist du dran, Gerstein! Bist du einer von uns oder nicht? Erzähl uns eine Geschichte.
Was für eine Geschichte?
Jetzt hab dich nicht so! Willst du Teil unserer Gemeinschaft sein?
Na gut, sagte der Volksgenosse Kurt Gerstein mit sorglosem Lachen. (Oh, so offen der Blick, so fest die Lippen!) – Nun, diese Geschichte hat sich im Sommer '40 ereignet, als ich zum ersten Mal von der Aktion T4 hörte. Im Rückblick glaube ich, die Vorsehung hat meine Schwägerin Bertha dazu bestimmt …
Sie glotzten ihn an.
… vergast zu werden oder, wahrscheinlicher noch, einen Genickschuss aus einer kleinkalibrigen Pistole zu erhalten. Sie war gestört, versteht ihr. Unheilbar. Und da begriff ich, harte Zeiten erfordern harte Mittel. Und so bin ich zurgegangen.
Wir wissen, dass du ein Idealist bist, Gerstein. Wir hatten nur gehofft, dass du ein einziges Mal …
Scheiß drauf, Franz. Auf unser Niveau wird der sich nie herabbegeben.
Weißt du was, Gerstein? Manchmal finde ich dein penetrantes Christentum widerlich. In unserer Branche muss man ab und zu auch mal lachen können. Das tut sogar gut.
In Wahrheit …
Wir müssen uns alle mal die Hände schmutzig machen. Wir können nicht in einem schönen großen Büro rumsitzen wie du. Wir sind ja niemand. Wir haben nicht so einen Bonzen als Vater wie du, also müssen wir im Krematorium zu Mittag essen, tagein, tagaus, und die toten Juden stinken, und ihre Asche regnet uns auf die Brote. Was sagst du jetzt?
Und jetzt mal ehrlich, Pastor Gerstein …
Rabbi Gerstein, wolltest du sagen!
Wann hast du zuletzt einen Juden ins Gelobte Land geschickt?
Um es mal direkt zu sagen, Gerstein, wie hältst du es mit der Judenfrage?
Franz, ich bin ein Fachmann für die Zyaniddesinfektion. Versteht ihr, was das bedeutet?
Da mussten sie lachen. Der blonde Kurt Gerstein war doch einer von ihnen, trotz seines ewigen unangebrachten Grinsens …
Ende '43, wann genau kann ich Ihnen nicht sagen, bekam er im Büro Besuch von einem alten Freund. Gerstein saß an seinem Schreibtisch bei der Buchführung – Auschwitz brachte es nach seiner Rechnung bisher auf zwei Millionen Opfer –, als er den großen Mercedes mit der Hakenkreuzstandarte vorfahren sah. Er dachte, es wäre die Gestapo, aber es war nur Dr. Pfannenstiel. Er wollte, dass Gerstein ihn nach Polen begleitete, zum Vergnügen natürlich, und auch, um ein paar neuere technische Entwicklungen in Bezug auf die Aktion Reinhardt in Augenschein zu nehmen.
Wenn Sie mir einen Schlafwagen besorgen können!, lachte Gerstein, der wusste, dass es unmöglich war.
Kaum eine Bitte, die eines Goten würdig ist, mein junger Freund …
Aber falls ich Ihnen irgendwie helfen kann …
Nun, schließlich sind Sie der Mann, der die Gaskammern erfunden hat …
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Wie bitte?
Keine falsche Bescheidenheit! Sie waren es, der das Zyklon B nach Belzec gebracht hat. Dann haben Sie Ihren Bericht geschrieben.
Stimmt, sagte Gerstein. Aber was ich wirklich sagen wollte …
Ich habe aus sicherer Quelle vom Schlauen Hans persönlich, der Sie vergöttert, dass das ganze Unternehmen ohne Sie bestimmt …
Sagen Sie mir eins, Herr Doktor, und zwar ohne jüdische Haarspaltereien bitte: Als diese toten Juden in Belzec auf einem Haufen lagen und uns anstarrten, was war das, medizinisch gesehen, für ein Ausdruck auf ihren Gesichtern?
Dr. Pfannenstiel blickte ihn streng an und sagte: Mir ist an den Leichen nichts Besonderes aufgefallen, außer dass sie im Gesicht bläulich angelaufen waren. Da sie erstickt sind, ist das kaum verwunderlich.
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Gerstein sagte: Sie werden wohl nicht nach Auschwitz eingeladen worden sein, Herr Doktor, denn dort setzen sie
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