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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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bedauernd fest: Gersteins Bemühungen, die mit dauernder Todesgefahr verbunden waren, könnten genügt haben, um ihn davon zu überzeugen, daß sein Gewissen und seine Hände rein waren. Daß diese Bemühungen auch immer den beabsichtigten Erfolg hatten, besagt diese Überzeugung nicht.
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    Am 20.1.65 wurde er de facto rehabilitiert. Da leugneten die Antisemiten schon weltweit, dass überhaupt etwas Ungehöriges geschehen war. Schließlich hatte schon Göring gelacht, als er im Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg vor Gericht stand: Diese Greuelfilme! Alle können so einen Film drehen, wenn sie Leichen aus den Gräbern holen und dann einen Traktor filmen, der sie wieder reinschiebt …
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    [ 36 ]  Wie es in Gottfrieds Tristan heißt: Was mag auch der Liebe näher gehn / denn Zweifel und Argwohn, diese zween. … Noch mehr ist aber mißgethan, / Wenn Einer den Zweifel und den Wahn / Bis zur Gewißheit bringet; / Denn wenn er das erringet, / Daß er bewährt den Zweifel weiß, / So ist ihm all sein vordrer Fleiß, / Zu birschen auf die Grundwahrheit, / Der ist ihm dann ein Herzeleid / Vor allem Herzeleide.
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Die zweite Front
    Alle Gesichter scheinen mir vertraut, auch wenn ich die Menschen dahinter nie kannte: wahrscheinlich, weil wir alle Soldaten waren, die für den gemeinsamen Sieg kämpften.
    – W. Karpow, Held der Sowjetunion, ca. 1987
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    W. I. Tschuikow, Marschall der Sowjetunion, zweifacher Held der Sowjetunion und nicht zufällig der »Held von Stalingrad«, bedient sich in seinen Memoiren eines überraschend poetischen Stils.
2 Guderian, Paulus, Rokossowski, Merezkow, selbst von Manstein – in dieser Hinsicht können die anderen Generäle nicht mit ihm mithalten. Mehr als einmal ist Tschuikow während seiner Laufbahn gescheitert, nicht zuletzt als er im Winterkrieg gegen Finnland die 9. Armee falsch aufstellte. Aber jetzt, da all das Vergangenheit ist, Deutschland in zwei fast harmlose Bücherstützen aufgebrochen, da die Faschisten ausgelöscht und die Finnen uns, wie das so geht, auf das Untertänigste ergeben sind, können wir es uns leisten, ihn für seine literarische Leistung zu loben.
3 Er nimmt sich Zeit, die dunklen Silhouetten der abgeschossenen Panzer des Feindes zu beschreiben: Einige lagen auf die Seite gestürzt, mit nach oben gerichteten Kanonen, als ob sie den Himmel um Gnade anflehten .
4 Es gelingt ihm, Fedjuninski wieder auferstehen zu lassen, mit seinem mit Bleistift geschriebenen Befehl, das Kommando über die 42. Armee zu übernehmen – was war damals schon die 42. Armee? Ein Haufen ausgemergelter Männer, viele davon ohne Waffen und Uniform, die sich zitternd zusammenkauerten –, oder uns den Menschen in dem unbarmherzigen Rokossowski vorzuführen, dessen frühere Verhaftung und Rehabilitierung inzwischen Staatsgeheimnis waren; und uns gefährlich nah an Schukows blasses Gesicht mit seinen Hängebacken heranzuführen (Schukow war es, der immerzu warnte: Ich lasse Sie erschießen!, oder Ich stelle Sie vors Kriegsgericht! ). Auch weniger berühmte Gestalten kommen zu ihrem Recht. Eine gewisse Russin mit den Initialen E. E. K. findet freundliche Erwähnung; von ihrem langen schwarzen Haar scheint Tschuikow besonders eingenommen gewesen zu sein.
Von verlässlichen Dritten habe ich erfahren, dass ihre Beziehung platonisch war, dass er sie überhaupt nur von einem Foto kannte; offenbar war sie mit einem Kameramann verheiratet, der ihm eine Weile als Dokumentarfilmer zugeteilt worden war. Aus Gründen der Diskretion kann ich den Namen des Kameramannes nicht preisgeben. Es heißt, dass es dem Kameramann, der aus nächster Nähe das erste Verhör des gefangengenommenen Feldmarschalls Paulus aufnahm, nur mit Hilfe von Bestechung gelang, sich diese günstige Position zu verschaffen: Jemand, dessen Namen wir hier nicht nennen müssen, gelangte in den Besitz der Fotografie der geheimnisvollen E. E. K., einer, wie ich gehört habe, eigentlich recht reizlosen Person. Nicht lange nach diesem Vorfall ließen der Kameramann und E. E. K. sich scheiden. Das mag sehr wohl eine erfundene Geschichte sein, und ich gebe sie ausschließlich der Vollständigkeit halber wieder. In Tschuikows Darstellung findet sie sich nur in knappen Andeutungen; dort nimmt der Optimismus nach der Kapitulation von Paulus übrigens beinahe individualistische Züge an. Über unsere gewaltigen Offensiven nach Stalingrad schreibt er: Das Frühjahr hielt Einzug, und beim Gegner war es Herbst!
5 Nun, da

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