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Pläne zu Filmen über unseren Sieg schmiedete – was er am Ende ergatterte, war ein Straßenschild von »Unter den Linden«. Sagt uns das nicht etwas über das Leben?
(Offen gestanden, Schilder faszinierten ihn, ganz im Einklang mit seinem Beruf, und oft nahm er welche mit. Ein Exemplar, zu dem er sich gegen Ende seiner Laufbahn äußerte, stand in den Trümmern eines Dorfes, das wir 1944 befreiten. Der Feind sollte extra für ihn dieses Schild mit zwei Pfeilen zurücklassen:
und
Eine Wegmarke, die man beliebig umsetzen konnte, je nachdem, wohin die Heimat des Feindes sich bewegte. Als Karmen sie in seine
Sammlung aufnahm, war die Reichsgrenze schon bis hinter Warschau gewichen.)
Die Soldaten träumten vom Nazigold. Sie hatten gehört, es stamme aus Judenzähnen, aber das war ihnen egal; sie wollten einfach nur lebend und reich heimkehren.
Tschuikow träumte, wie ich erfuhr, von einer Woche langer Nächte mit Elena in einer Luxuswohnung, der von Göring oder Ribbentrop vielleicht. Er war ein überraschend sentimentaler Mann. Wenn Klawdija Schulschenko »Blaues Tüchlein« sang, weinte er. Seine Pläne mit Elena waren von derselben romantischen Natur. Sie war verheiratet, aber warum nicht? Seine Ordonnanz hatte lachend erzählt, sie habe den pelzgefütterten Handschuh einer Krankenschwester auf dem Boden von Karmens Zelt gefunden; das war am Tag vor E. E. K.s Ankunft gewesen. Der stämmige, breitgesichtige und ungebildete Tschuikow machte sich nicht gerade Illusionen, was seine Attraktivität anging; andererseits erlaubte ihm das Prestige, das er sich in Stalingrad erworben hatte, erstaunlich viel von dem zu bekommen, was er begehrte.
Was Elena anging, sie konnte sich fast schon sehen, wie sie Tschuikow über die dunklen Haare strich (er war erst dreiundvierzig), aber noch nicht ganz, denn eigentlich war sie mehr an Frauen interessiert als an neuen Männern, und sie rechnete sowieso nicht damit, nach Berlin zu kommen. Mit ihrer selbstzufriedenen, katzenartigen Sinnlichkeit, die einer Frau meiner Ansicht nach (hier spricht der Genosse Alexandrow) gut ansteht, hatte sie Herzen ohne Zahl gebrochen, sie war sich aber auch sehr wohl selbst genug. Einmal hatte sie eine Bemerkung fallenlassen, die ihren Gatten in eine lang anhaltende Verzweiflung stieß. Aber das war seine eigene Schuld gewesen. Voller Selbstmitleid und aus genau demselben Grund, aus dem er Jahrzehnte nach ihrer Scheidung grauhaarig, aber noch immer schlank nach Toledo zurückkehrte und die Kamera ans Auge hob – jeden Ort, den er je mit ihr bereist hatte, wollte er festhalten –, bestand er manchmal darauf, seine Sicht ihrer gemeinsamen Vergangenheit wiederzugeben. Zu seinen Torheiten gehörte der Glaube, es gebe eine alte Elena und eine neue: Die alte war feurig und liebevoll gewesen, die neue war es nicht. In Elena erregte dieser Vergleich jedes Mal die kalte Wut. Und jetzt redete er immerzu von den Nächten, als sie miteinander geschlafen hatten. Elena lächelte und blickte leer ins Nichts. Verzweifelt beschrieb er ihr die tiefe
Verbindung, die, das könnte er schwören, in jenen Augenblicken zwischen ihnen bestanden habe. Er wollte – er musste! – wissen, ob sie das auch gespürt hatte.
Ich möchte dir nicht wehtun, erwiderte Elena ruhig.
Aber ich muss es wissen!
Nein. Das, was du beschreibst, habe ich nie empfunden. Für mich ist das einfach eine körperliche Empfindung.
Aber hast du denn nicht …
Reine Handfertigkeit, sagte Elena gleichgültig.
5
Tags darauf waren Roman Karmen und seine Frau bei Tschuikow zum Essen eingeladen. Der Kommissar war dabei; auch der Panzerkommandant, der sich das Stachelschwein hielt. Das Stachelschwein war leider ferngeblieben.
Nicht jeder darf mit einem General in dessen Zelt speisen! Aber da ein Kommandeur sich gelegentlich seinen Truppen an der Front zeigen muss, schätzen wir das Kino und die ihm zugeordneten Apparatschiks hoch ein – R. L. Karmen zum Beispiel. Wir hatten diesen linientreuen Sowjetkünstler sogar gern. In Friedenszeiten hatte er die Einweihung des ersten Hochofens in unserem Sowjetland aufgezeichnet – des großen Betriebs in Krasnogorsk. Tränen traten den Männern in die Augen, als der allererste Strom flüssigen Eisens hervorquoll. Karmen war dabei und nahm alles auf Film auf.
8 Sein Selbstbewusstsein war groß genug, dass er davon absehen konnte, die offizielle Zeremonie zu filmen, sein eigentlicher Auftrag. Unser Urteil: hocheffektiv. Karmens
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