Europe Central
Glaube an von Manstein nicht erschüttert werden würde, denn kaum ging die Startpistole los, jagte er die schreiende Lüge in die Luft, wir hätten den Polen etwas Böses gewollt; er schrieb – lassen Sie mich mal nachblättern – aha, so hat er es ausgedrückt: Wenn Hitler
die schnelle und rücksichtslose Vernichtung des polnischen Heeres forderte, so war dies, in die Sprache der Militärs übersetzt, eben das Ziel, das schließlich jeder großen Angriffsoperation zugrunde liegen muss.
4 Und was war mit den sogenannten »Gräueltaten«, die wir dabei begingen? (Jeder, der sich beklagt, unsere Wehrmacht habe sich, relativ gesehen, inkorrekt verhalten, sollte mal ein paar Jahre in Workuta verbringen!) Wir brachten die Sache so schnell wie möglich hinter uns. Die Kapitulation Polens wahrte , wiederum in von Mansteins Worten, durchaus die militärische Ehre eines in tapferem Kampfe unterlegenen Feindes.
5 Und mehr muss ein guter Deutscher dazu nicht sagen.
Was geschah also dann? Dann erklärten diese entarteten »Alliierten«, die unsere Führer wegen »Verschwörung zum Angriffskrieg« aufhängten, uns den Krieg! – Nun, wir taten unsere Pflicht. Mein bester Freund Karl, der in von Richthofens VIII . Fliegerkorps gedient und im ganzen Leben nie gelogen hat, schrieb mir in einem Brief, ein Adler sei an seiner Seite geflogen, direkt neben dem Cockpit, bei jedem Angriff auf Sedan. Ich bin kein Gefühlsmensch, aber die Geschichte bringt einen zum Nachdenken. Nun, Karl wurde über Stalingrad abgeschossen. Er flog Essen und Medikamente für die 6. Armee. Alles umsonst! Aber mein Mitleid hätte er nicht gewollt. Worum es geht, ist: Wir sind der einzig korrekten Linie gefolgt, und unser Vorgehen war immer so generös wie unter den Umständen möglich. – Wie ein leichtes Maschinengewehr eine Straße gewöhnlich mit ein, zwei Feuerstößen von Partisanen säubert, so setzt von Manstein seine Sätze, und jede Widerrede wird weggefegt! So schreibt er zum Beispiel: Infolge des einwandfreien Verhaltens unserer Truppen blieb in jenem halben Jahre, das ich noch in Frankreich verbrachte, das Verhältnis zu der französischen Bevölkerung völlig ungetrübt.
6 Von Mansteins Wort ist Gold wert. Wenn er das so sagt, gibt es nichts mehr zu wollen. Und trotzdem bestrafen sie uns für »Verbrechen« gegen Frankreich! Und deshalb wache ich morgens manchmal ganz verkatert auf und denke mir: Wozu das Ganze?
Meine Frau war mir wieder böse, diesmal weil ich den Abfluss mit Rasierschaum und Barthaaren verstopft hatte, so stand es in ihrer Anklage, aber ich bunkerte mich ein, denn gleich nach dem Teil über die militärische Ehre wurde es in Verlorene Siege besonders interessant. Ich hatte immer eine Vorliebe für theoretische Fragen. In Workuta fragte ich die Wärter immer, wie die Sache ausgegangen wäre, wenn Stalin
gestorben wäre und nicht Roosevelt; diese Frage hat mich meine beiden Vorderzähne gekostet. Da kann man sich vorstellen, wie begeistert ich war, als auch von Manstein anfing, theoretische Fragen zu erörtern: Was hätte Polen tun müssen, um die Niederlage zu vermeiden? Sich einen kurzen Augenblick lang in den Feind zu versetzen und sich dann ein wenig in der Welt umzuschauen, das ist für mich eine echte Übung in Aufgeschlossenheit; eine gute Vorbereitung für das nächste Mal. Ja, so muss man an die Sache herangehen. Und von Manstein hatte die Antwort natürlich im Patronengürtel: Polen hätte die westlichen Gebiete aufgeben sollen, um der Einkesselung zu entgehen, und dann auf die Verbündeten warten. (Natürlich wären sie nicht gekommen; das taten sie nie. Was kann man von diesen Feiglingen schon erwarten? Sehen wir uns doch Polen heute an – ein sowjetischer Satellitenstaat!) Ich wollte jemanden haben, an dem ich die Sache ausprobieren konnte, aber mein Sohn, der mir früher in allem zugestimmt hätte, war den ganzen Tag noch nicht aufgetaucht; wahrscheinlich hatte er sich so nah wie möglich an den Tiergarten herangearbeitet, um bei den amerikanischen Negern Zigaretten zu schnorren. Und überhaupt, was hätte es ihn gekümmert? Als ich aus Workuta zurückkam, hat er mich angesehen wie ein Ungeheuer. Meine Frau wollte es wiedergutmachen und hat behauptet, er hätte mich nicht erkannt. Na und? Der Stärkste ist am mächtigsten allein und so weiter. Dann kam die Frage, in die ich wirklich meine ganze Seele legen konnte: Was hätten wir tun müssen, um die Niederlage gegen Russland zu vermeiden? Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher